Das Geheimnis des weißen Bandes
Mal, aber ich hatte wohl noch nie ein Gesicht gesehen, das weniger Fröhlichkeit kannte. »Sie sind ein ganz eiskalter Bursche, was? Und ich nehme an, Sie haben alles genau ausgetüftelt.«
»Selbstverständlich.«
»Und als die Wahrsagerin Sie hier raufschickte, wussten Sie natürlich auch, dass sie nur auf Sie gewartet hatte, nicht wahr?«
»Sie hat mit meinem Freund gesprochen, nicht mit mir. Ich nehme an, Sie haben die Frau gut bezahlt, Mr. Henderson?«
»Wenn Sie deren Hand mit einem Sixpence-Stück streicheln, macht sie alles.«
»Ja, ich habe eine weitere Falle erwartet.«
»Lass es uns hinter uns bringen«, drängte Bratby, der zweite Mann.
»Noch nicht, Jason. Lass uns noch etwas Zeit.«
In diesem Fall brauchte ich Sherlock Holmes einmal nicht, um zu begreifen, warum sie noch warteten. Das war mir nur allzu klar. Als wir die Treppe heraufkamen, waren unten im Schießstand ein Dutzend Leute gewesen, und es hatte ununterbrochen geknallt. Jetzt war es aus irgendeinem Grund still. Die beiden Mörder warteten darauf, dass unten die Schießerei wieder losging. Das Krachen würde die beiden Revolverschüsse hier oben mühelos übertönen. Mord ist das schlimmste Verbrechen, dessen der Mensch fähig ist, aber dieser kaltblütige, kalkulierte Doppelmord erschien mir besonders bösartig. Immer noch umklammerte ich meinen Arm. Dort, wo der Schlag mich getroffen hatte, war der Unterarm völlig gefühllos, aber ich wollte nicht auf Knien sterben. Deshalb stützte ich mich auf den anderen Arm, und mit der Hilfe meines Freundes konnte ich schließlich ganz aufstehen.
»Sie können genauso gut Ihre Waffen gleich weglegen und aufgeben«, sagte Holmes plötzlich. Er war vollkommen ruhig, und ich begann mich zu fragen, ob er vielleicht wirklich gewusst hatte, dass die beiden Männer hier sein würden.
»Was?«
»Es gibt keine Hinrichtung mehr. Der Schießstand hat geschlossen. Der Jahrmarkt ist vorbei. Hören Sie das nicht?«
Jetzt erst wurde mir bewusst, dass auch die Drehorgel und das Gemurmel der Menge verstummt waren. Das Publikum schien gegangen zu sein. Außerhalb dieses leeren, verlassenen Raumes war alles ganz still.
»Wovon reden Sie, Holmes?«
»Ich habe Ihnen von Anfang an nicht geglaubt, Henderson. Damals war es ganz unvermeidlich, in Ihre Falle zu gehen, schon um zu sehen, was Sie geplant hatten. Aber glauben Sie im Ernst, ich würde das zweimal tun?«
»Waffen weg!«, schrie eine Stimme.
In den nächsten Sekunden verlor ich völlig den Überblick, denn es kam zu einem wahren Wirbelwind von Ereignissen. Henderson riss seine Waffe herum. Er wollte auf mich oder ein Ziel unmittelbar hinter mir schießen. Aber ich werde nie wissen, was er genau vorhatte, denn noch ehe sein Finger sich krümmen konnte, krachte eine schnelle Folge von Schüssen, das Mündungsfeuer blitzte weiß durch die Dunkelheit, und erwurde buchstäblich von den Füßen gerissen, während aus seinem Kopf eine ganze Fontäne von Blut spritzte.
Hendersons Komplize, den er Jason genannt hatte, drehte sich hastig um. Ich glaube nicht, dass er schießen wollte, aber es genügte, dass er bewaffnet war. Eine Kugel traf seine Schulter, und eine weitere seine Brust. Ich hörte ihn schreien, als der Aufprall ihn umwarf und mein Revolver ihm aus der Hand fiel. Man hörte es poltern, als sein Knüppel davonrollte. Tot war er nicht. Keuchend und schluchzend vor Schmerz krümmte er sich auf dem Boden. Es entstand eine kurze Pause, aber die Stille war fast so schockierend wie die Gewalt davor.
»Sie haben sich ganz schön Zeit gelassen, Lestrade«, stellte Holmes fest.
»Es hat mich interessiert, was der Bursche gesagt hat«, erwiderte der Inspektor. Ich drehte mich um und stellte fest, dass es tatsächlich Lestrade war, der jetzt mit drei uniformierten Beamten den Raum betrat. Einer der Männer entzündete eine Fackel, und sie begannen die beiden Angeschossenen zu untersuchen.
»Sie haben gehört, dass er die Morde gestanden hat?«
»Allerdings, Mr. Holmes.« Der Mann, der Henderson untersucht hatte, schüttelte den Kopf. Ich hatte die Wunde gesehen und war nicht überrascht. »Man wird ihn aber wohl nicht vor Gericht bringen können.«
»Nun, zumindest ist er bestraft worden.«
»Trotzdem, ich hätte ihn lieber lebend gefasst, als Kronzeugen. Ich habe eine Menge für Sie riskiert, Mr. Holmes, und auch das, was wir heute Nacht hier getan haben, kann mich noch teuer zu stehen kommen.«
»Ach was, Sie bekommen eine weitere Belobigung,
Weitere Kostenlose Bücher