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Das Geheimnis des weißen Bandes

Das Geheimnis des weißen Bandes

Titel: Das Geheimnis des weißen Bandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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künftig zweifellos nur mit Abscheu genannt werden würde. Andere Kunden des House of Silk waren bereits verhaftet und taumelten mut- und würdelos durch den Salon, vielen standen Tränen des Selbstmitleids im Gesicht. Der Türsteher saß zusammengesunken in einer Ecke und betrachtete das Blut, dasaus seiner Nase tropfte. Ich sah, wie Robert Weeks, der stolze Absolvent des Balliol College, aus einem der Zimmer gezerrt wurde, den linken Arm auf den Rücken gedreht.
    Natürlich gab es eine Hintertür. Sie führte hinaus in den Garten und sie stand offen. Einer von Lestrades Leuten lag quer davor, während sein Herz heißes Blut aus einer Wunde in seiner Brust pumpte. Lestrade kniete neben ihm und versuchte ihn zu versorgen, aber als er uns kommen hörte, blickte er auf, das Gesicht rot vor Wut. »Das war Harriman!«, sagte er. »Er hat sofort geschossen, als er die Treppe herunterkam.«
    »Und wo ist er jetzt?«
    »Weg!« Lestrade zeigte auf die offene Tür.
    Ohne ein weiteres Wort rannte Holmes hinter Harriman her, und ich – folgte ihm. Es war unverantwortlich, aber ich hatte das Gefühl, dass mein Platz jetzt wie immer an seiner Seite war. Außerdem wollte ich dabei sein, wenn die Rechnung beglichen wurde. Harriman war vielleicht nur ein Diener des House of Silk, aber er hatte das alles zu seiner Sache gemacht und uns persönlich angegriffen, als er Holmes ins Gefängnis brachte und seine Ermordung betrieb. Ich hätte ihn ohne zu zögern erschossen und bedauerte immer noch, dass ich ihn verfehlt hatte.
    Hinaus in die Dunkelheit und in den wirbelnden Schnee! Wir folgten einer Spur, die ums Haus herum führte. Die Nacht war jetzt ein Mahlstrom von Schwarz und Weiß, und man konnte kaum noch die Gebäude auf der anderen Straßenseite erkennen. Aber dann hörten wir eine Peitsche knallen und ein Pferd wiehern. Eine der Kutschen löste sich aus der Reihe und rollte zum Tor. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, wer da die Zügel hielt. Mit schwerem Herzen und einem bitteren Geschmack im Mund wurde mir klar, dass Harriman uns entwischt war. Wir würden sehen müssen, ob er in den nächsten Tagen gefasst würde.
    Aber Holmes gab nicht auf. Harriman hatte ein großes, elegantes Coupé genommen, das von zwei Pferden gezogen wurde. Ohne lange zu wählen, sprang Holmes in eins der übrigen Gefährte, einen kleinen Wagen mit einer Achse, der nur von einem Pferd gezogen wurde, das nicht besonders kräftig aussah. Ich schaffte es gerade noch, hinten aufzuspringen, und schon begann die Verfolgungsjagd. Die empörten Schreie des Kutschers, der sich irgendwo untergestellt und uns erst bemerkt hatte, als es zu spät war, ignorierten wir einfach. Wir schossen durchs Tor und bogen dann auf die Straße ab. Holmes ließ die Peitsche knallen, und jetzt zeigte unser Brauner, dass er durchaus Temperament hatte: Unser leichter Wagen flog nur so über den Schnee. Wir hatten zwar ein Pferd weniger als Harriman, aber unser Fahrzeug war leichter und wendiger. Auf meinem erhöhten Standort konnte ich mich nur mit aller Kraft festklammern, denn wenn ich herunterfiel, würde ich mir bestimmt das Genick brechen.
    Es war keine gute Nacht für eine Verfolgungsjagd. Der Schnee kam uns fast waagrecht entgegen und fegte uns mit scharfen Nadelstichen ins Gesicht. Dass Holmes überhaupt etwas sehen konnte, war mir unbegreiflich, denn jedes Mal, wenn ich den Kopf in die Dunkelheit hob, wurde ich sofort vom Schnee geblendet, und meine Lippen und Wangen waren jetzt schon erstarrt und taub von der Kälte. Aber da war Harriman, kaum fünfzig Meter entfernt. Ich hörte ihn verzweifelt und wütend schreien, ich hörte das Knallen der Peitsche.
    Holmes hockte vor mir auf dem Kutschbock und hielt die Zügel mit beiden Händen, das Gleichgewicht hielt er nur mit den Füßen. Jedes Schlagloch drohte ihn vom Bock zu werfen, und der leichte Wagen schleuderte auf dem vereisten Weg wie verrückt hin und her. Ich fragte mich, wie lange die Deichsel das aushalten würde, und sah schon vor mir, wie unser wackererBrauner, den die Verfolgungsjagd sehr zu befeuern schien, uns gegen einen Baum oder irgendein anderes Hindernis schleudern und eine Katastrophe herbeiführen würde. Der Hang war steil, und die Straße schien direkt in einen schwarzen Abgrund zu führen, der von wirbelndem Schnee und heulenden Winden erfüllt war.
    Vierzig Meter, dreißig … es schien möglich, die Lücke zu schließen und den Abstand zu Harriman zu verringern. Die donnernden Hufe seiner Pferde

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