Das Geheimnis des weißen Bandes
Gefühle zu verbergen. »Ich kann das nicht dulden, Mr. Holmes. Ich habe Ihnen das schon mal gesagt. Das ist ein anständiges Haus, da lädt man kein solches Lumpenpack ein. Der Himmel weiß, was sie für Krankheiten einschleppen, ganz zu schweigen von der Wäsche und dem Silber, die nicht mehr da sind, wenn sie gegangen sind.«
»Bitte beruhigen Sie sich, meine liebe Mrs. Hudson«, lachte Holmes. »Wiggins! Ich hab euch doch gesagt, dass ihr dieses Haus nicht einfach so überfallen könnt. In Zukunft erstattest du mir allein Bericht. Aber jetzt, wo du nun schon mal da bist und die ganze Bande mitgebracht hast, könnt ihr euch meine Instruktionen zusammen anhören. Also passt genau auf! Unsere Zielperson ist ein Amerikaner, ein Mann Mitte dreißig, der gelegentlich eine flache Mütze trägt. Er hat eine frische Narbe auf seiner rechten Wange, und wir können davon ausgehen, dass er sich in London nicht auskennt. Gestern war er an der London Bridge Station. Er hat eine Halskette mit goldgefassten Saphiren in seinem Besitz, die er sich, das brauche ich wohl nicht zu sagen, auf illegale Weise verschafft hat. Was meint ihr, wo er damit hingehen wird?«
»Fullwood’s Rents!«, schrie einer der Jungen.
»Zu den Juden auf der Petticoat Lane«, rief ein anderer.
»Nein! Er kriegt einen besseren Preis in den Höllenhäusern«, meinte ein Dritter. »Ich würde in die Flower Street oder Field Lane gehen.«
»Die Pfandleiher!«, warf der besser gekleidete Junge ein, der mir zuvor aufgefallen war.
»Die Pfandleiher!«, bestätigte Holmes. »Wie heißt du, mein Junge?«
»Mein Name ist Ross, Sir.«
»Du hast Talent zum Detektiv, Ross. Der Mann, den wir suchen, ist neu in der Stadt. Flower Street, Fullwood’s Rents oder die anderen abgelegenen Ecken der Stadt, wo ihr eure heiklen Geschäfte abwickelt, wird er kaum kennen. Er wird dasOffensichtlichste tun, und das Symbol mit den drei goldenen Kugeln ist auf der ganzen Welt bekannt. Deshalb möchte ich, dass ihr dort anfangt. Er ist in London Bridge angekommen, und vielleicht wohnt er sogar in einem Hotel oder einer Pension dort in der Nähe. Besucht jeden Pfandleiher in dieser Gegend, beschreibt ihm den Mann und das Schmuckstück, das er zu versetzen versucht hat.« Holmes griff in die Tasche. »Der Tarif ist derselbe wie immer: Jeder von euch kriegt einen Shilling, und wer das findet, wonach ich suche, kriegt eine Guinee.«
Wiggins bellte einen Befehl, und mit gewaltigem Lärm und Gefuchtel marschierten die Irregulären unter den habichtsäugigen Blicken von Mrs. Hudson wieder hinaus, die den ganzen Rest des Vormittags damit verbringen würde, die silbernen Löffel zu zählen.
Sobald sie gegangen waren, schlug Holmes die Hände zusammen und sank in einen Sessel. »Nun, was halten Sie davon, Watson?«
»Sie scheinen sehr zuversichtlich, dass wir O’Donaghue finden«, sagte ich.
»Zumindest bin ich mir ziemlich sicher, dass wir den Mann ausfindig machen, der in Ridgeway Hall eingebrochen ist«, erwiderte er.
»Meinen Sie nicht, dass Lestrade ebenfalls bei den Pfandleihern nachfragen wird?«
»Ich zweifle ein bisschen daran. Es ist so offensichtlich, dass er vielleicht nicht darauf gekommen ist. Andererseits haben wir den ganzen Tag vor uns, aber nichts, womit wir ihn füllen könnten. Und nachdem ich das Frühstück nun einmal unwiderruflich verpasst habe, lassen Sie uns im Café de l’Europe neben dem Haymarket Theatre zumindest gemeinsam lunchen. Trotz des Namens gibt es dort erstklassiges englisches Essen. Danach würde ich gern die Galerie der Herren Carstairs & Finch inder Albemarle Street aufsuchen. Sich mit diesem Mr. Finch bekannt zu machen könnte vielleicht interessant sein. Falls Wiggins hier auftaucht, können Sie ihn direkt dort hinschicken, Mrs. Hudson. Aber jetzt, mein lieber Watson, müssen Sie mir sagen, was Sie vom Martyrdom of Man halten. Ich sehe, Sie haben es endlich zu Ende gelesen.«
Ich warf einen hastigen Blick auf das Buch, das unauffällig vor mir auf dem Tisch lag. »Holmes …?«
»Sie haben ein Zigarettenbild als Lesezeichen benutzt. Ich habe seinen quälend langsamen Fortschritt von der ersten bis zur letzten Seite verfolgt, und sehe, dass es jetzt, endlich entlassen von seiner Fronarbeit, neben dem Buch auf dem Tisch liegt. Ich bin gespannt auf Ihre Erkenntnisse. Ob Sie wohl die Güte hätten, uns einen Tee zu bringen, Mrs. Hudson?«
Wir verließen das Haus und schlenderten hinunter zum Haymarket. Der Nebel hatte sich
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