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Das Geheimnis des weißen Bandes

Das Geheimnis des weißen Bandes

Titel: Das Geheimnis des weißen Bandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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kleines, schmutziges Ecklokal, wo der Gestank von schalem Bier und Zigarrenrauch schon aus der Täfelung und den wenigen Möbeln zu dringen schien. Aber der Wirt war ein freundlicher Mann, wischte sich die gewaltigen Hände an seiner nicht ganz sauberen Schürze trocken und musterte uns über den Tresen.
    »Hier arbeitet keine Sally«, teilte er uns mit, nachdem wir uns vorgestellt hatten. »Und hier hat auch früher keine gearbeitet. Wie kommen Sie auf die Idee, sie könnte hier sein, meine Herren?«
    »Wir suchen nach ihrem Bruder, einem Jungen namens Ross.«
    Er schüttelte erneut den Kopf. »Einen Ross kenne ich auch nicht. Sind Sie sicher, dass man Sie an den richtigen Ort geschickt hat? Es gibt noch ein Bag of Nails in Lambeth, soviel ich weiß. Vielleicht sollten Sie Ihr Glück da versuchen.«
    Wir waren sofort wieder draußen und saßen bald in einem Hansom Cab, um auf die andere Seite der Themse zu fahren, aber es war jetzt schon ziemlich spät, und als wir das untere Viertel von Lambeth erreichten, war es schon fast dunkel. Daszweite Bag of Nails war etwas angenehmer als das erste, aber dafür war der Wirt nicht sehr freundlich. Er war ein mürrischer, bärtiger Kerl mit einer gebrochenen Nase, die schief zusammengewachsen war, und seine Miene war finster.
    »Sally?«, fragte er. »Was für eine Sally?«
    »Wir kennen nur ihren Vornamen«, erwiderte Holmes. »Außerdem wissen wir, dass sie einen jüngeren Bruder namens Ross hat.«
    »Sally Dixon? Meinen Sie die? Die hat einen Bruder. Sie ist hinten, aber erst will ich wissen, was Sie von ihr wollen.«
    »Wir wollen nur mit ihr reden«, sagte Holmes. Wieder spürte ich die rastlose Anspannung bei ihm, die rücksichtslose Energie, die ihn vorwärtspeitschte, wenn er eine heiße Spur verfolgte. Er war ein Mann, der schrecklich darunter litt, wenn die Umstände sich ihm in den Weg stellten. Er schob ein paar Münzen über die Theke. »Das ist zur Entschädigung für den Arbeitsausfall.«
    »Das ist nicht nötig«, sagte der Wirt, steckte das Geld aber trotzdem ein. »Na schön. Sie finden sie hinten im Hof. Aber ich bezweifle, dass Sie viel von ihr erfahren. Sie ist nicht gerade redselig. Wenn ich eine Taubstumme eingestellt hätte, wäre das eine bessere Unterhaltung für unsere Gäste.«
    Hinter dem Gebäude befand sich ein Hof, dessen Pflastersteine vom Regen noch glänzten. Er war mit jeder Menge Gerümpel und Schrott angefüllt, der sich überall an den Mauern hochstapelte. Man fragte sich unwillkürlich, wie er hierhergeschafft worden war. Ich entdeckte ein kaputtes Klavier, ein Schaukelpferd, einen Vogelkäfig, mehrere Fahrräder, zerbrochene Stühle und halbe Tische. Auf einer Seite stand ein Stapel angeschlagener Kisten, auf der anderen waren alte Kohlensäcke, die mit weiß Gott was gefüllt waren. Es gab Berge von Altpapier und zersplitterten Glasscherben, verbogene Metallteile, und inder Mitte stand ein junges Mädchen von etwa sechzehn in einem Kleid, das viel zu dünn für das Wetter war. Sie hatte einen Besen in der Hand und kehrte das letzte Stück freies Pflaster, als ob das zu irgendwas gut wäre. Ich erkannte dieselben Züge an ihr wie bei ihrem jüngeren Bruder. Ihr Haar war blond, ihre Augen blau, und wenn ihre Lebensumstände nicht so bedrückend gewesen wären, hätte man wahrscheinlich sagen können, dass sie recht hübsch war. Aber ihre grausame Armut und ihr hartes Leben hatten Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen. Die Wangenknochen stachen heraus, die Arme waren so dünn wie Streichhölzer, und der Schmutz hatte sich tief in die Haut ihrer Hände und Wangen gefressen. Als sie den Kopf hob, zeigte ihr Gesicht nur Verachtung und Misstrauen. So jung war sie noch! Und doch hatte ihr Leben sie an diesen Ort, in diese Lage gebracht.
    Wir standen direkt vor ihr, aber sie fuhr einfach mit ihrer Arbeit fort.
    »Miss Dixon?«, sagte Holmes. Der Besen fuhr vor und zurück, ohne dass der Rhythmus sich änderte. »Sally?«
    Sie hielt inne und hob langsam den Kopf, um uns zu prüfen. »Ja?« Ich sah, dass ihre Finger den Besen umklammerten, als ob sie ihn notfalls als Waffe einsetzen würde.
    »Wir wollen Sie nicht erschrecken«, sagte Holmes. »Wir tun Ihnen nichts.«
    »Was wollen Sie?« Ihre Augen waren von tierischer Wildheit. Wir hätten nicht gewagt, uns zu nähern.
    »Wir würden gerne mit Ihrem Bruder sprechen. Mit Ross.«
    Ihre Fäuste umklammerten den Besen noch fester. »Wer sind Sie?«
    »Wir sind seine Freunde.«
    »Sind Sie vom House

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