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Das Geheimnis des weißen Bandes

Das Geheimnis des weißen Bandes

Titel: Das Geheimnis des weißen Bandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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wiederholte fast wörtlich, was Creer gesagt hatte. Er habe auf einem derPolster auf der anderen Seite des Raumes gelegen, erklärte er, und obwohl er in einem sehr entspannten Zustand gewesen sei, könne er beschwören, dass er alles bei vollem Bewusstsein beobachtet habe. »Opium ist für mich ein gelegentlicher Genuss«, sagte er abschließend. »Es verschafft mir ein paar Stunden, in denen ich mich von den Sorgen und Verantwortlichkeiten meines Lebens zurückziehen kann. Ich sehe darin keine Schande. Ich kenne genug Leute, die aus genau denselben Gründen zu Hause in ihren Privaträumen Laudanum zu sich nehmen. Für mich ist das nichts anderes als der Genuss von Alkohol oder Tabak. Allerdings kann ich damit auch umgehen«, ergänzte er demonstrativ.
    Aber erst als der Richter ihn nach seinem Namen fragte, löste die Aussage des jungen Mannes eine echte Bewegung im Saal aus.
    »Ich bin Lord Horace Blackwater.«
    Der Richter starrte ihn verblüfft an. »Darf ich davon ausgehen, Sir, dass Sie Mitglied der Familie Blackwater aus Hallamshire sind?«
    »Ja«, erwiderte der junge Mann. »Mein Vater ist der Earl of Blackwater.«
    Ich war genauso überrascht wie alle anderen. Es erschien erstaunlich, ja sogar ziemlich schockierend, dass der Spross einer alten englischen Adelsfamilie sich in eine verkommene Opiumhöhle in Bluegate Fields verirrt haben sollte. Gleichzeitig wurde mir klar, wie das Gewicht dieser Aussage die Anklage gegen meinen Freund stützen würde. Dieser Zeuge war kein rumseliger Seemann oder großmäuliger Marktschreier, der unbedingt seine Darstellung der Ereignisse vortragen wollte, sondern ein Mann von Stand, der sich schon durch das bloße Eingeständnis, in diesem Lokal gewesen zu sein, gesellschaftlich ruinieren konnte.
    Er hatte Glück, dass bei diesem Termin im Magistrate’sCourt keine Journalisten anwesend waren. Das Gleiche galt natürlich für Holmes. Als der junge Mann den Zeugenstand verließ, hörte ich, wie das Publikum in der Galerie aufgeregt flüsterte. Die Leute waren offenbar nur zur Unterhaltung gekommen, und der sensationelle Auftritt von Sir Horace war wie ein extra Stück Zucker für sie.
    Der Richter tauschte ein paar Worte mit dem Gerichtsdiener, dann trat Stanley Perkins in den Zeugenstand, der Constable, den ich in der Nacht beobachtet hatte. Er stand sehr gerade und hielt seinen Helm an der Seite, als wäre er ein Gespenst aus dem Tower und müsste seinen abgeschlagenen Kopf festhalten. Er hatte am wenigsten beizutragen, aber ein Großteil der Geschichte hatten ja auch schon andere erzählt. Er war von dem Laufburschen angesprochen worden, den Creer ausgeschickt hatte. Der Junge hatte ihn gebeten, in das Haus an der Milward Street zu kommen. Er war auf dem Weg dorthin gewesen, als er zwei Schüsse hörte und zum Coppergate Square gerannt war, wo er einen bewusstlosen Mann am Boden liegend gefunden hatte, der einen Revolver umklammerte, und ein junges Mädchen, das in einer Blutlache lag. Da sich bereits eine Menschenmenge zu sammeln begann, hatte er das Kommando übernommen. Dass er für das Mädchen nichts mehr tun konnte, hatte er gleich gesehen. Abschließend beschrieb er noch, wie ich gekommen war und den bewusstlosen Mann als Sherlock Holmes identifiziert hatte.
    »Ich konnte es gar nicht glauben, als ich das hörte«, sagte Perkins. »Ich habe einige Abenteuer von Mr. Holmes gelesen, und sich dann vorzustellen, dass er in so etwas verwickelt sein könnte … nun, es war einfach unglaublich.«
    Auf Perkins folgte Inspektor Harriman, unverkennbar mit seiner glitzernden weißen Mähne. Er trug seine Aussage so wohlbemessen und mit solchem Bedacht für die Wirkung seiner Worte vor, als habe er seinen Vortrag stundenlang eingeübt – was natürlich durchaus der Fall gewesen sein könnte. Er machte keinerlei Versuch, mit seiner Verachtung für den Angeklagten hinter dem Berg zu halten. Fast schien es, als wäre es seine dringlichste Lebensaufgabe, meinen Freund ins Gefängnis und womöglich an den Galgen zu bringen.
    »Gestatten Sie, dass ich dem Gericht Auskunft über den Verlauf meines gestrigen Abends gebe«, begann er. »Ich war zu einem Einbruch in einer Bank an der White Horse Road gerufen worden, die sich ganz in der Nähe des Tatorts befindet. Als ich gerade dort weggehen wollte, hörte ich Schüsse und die Pfeife des Constable. Ich wandte mich nach Süden, um zu sehen, ob ich helfen konnte. Als ich am Coppergate Square eintraf, hatte Constable Perkins die

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