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Das Geheimnis meiner Mutter

Das Geheimnis meiner Mutter

Titel: Das Geheimnis meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Wiggs
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verschränkten Armen auf dem Zaun ab und grinste sie an.
    „Ich habe nicht gesagt, dass du lächeln sollst“, schalt sie ihn.
    „Ich kann nicht anders. Du bist so ernsthaft bei der Arbeit.“
    „Und das ist lustig?“
    „Nein. Ich mag es nur, dir zuzuschauen. So, und jetzt stell den Selbstauslöser ein und komm zu mir für ein gemeinsames Bild von uns beiden.“
    „Dad …“
    „Tu mir den Gefallen. Ich habe nur so wenig Fotos von uns zusammen.“
    Was für eine Untertreibung. Natürlich hatten er und Sophie unzählige Fotos vom Aufwachsen ihrer Kinder. Und der herzzerreißendste Moment im Zuge der Scheidung war nicht das Aufteilen der Hochzeitsgeschenke oder des teuren Kristalls und Silbers gewesen, sondern als sie die Fotoalben durchgegangen waren und die Fotos markiert hatten, von denen sie Abzüge machen wollten. Ungefähr auf der Hälfte des ersten Albums hatte Greg bei einem Schnappschuss einer blonden, lachenden Sophie innegehalten, die Daisy wie einen gewonnenen Pokal über sich in die Luft stemmte. Sie sahen so wunderschön aus, dass seine Augen ganz blind wurden, als wenn er zu lange in die Sonne geschaut hätte. In dem Moment hatte er das Album zugeklappt und gesagt: „Ich schicke sie alle zum Duplizieren ein.“
    Sophie hatte nicht widersprochen. Er nahm an, weil es für sie genauso schmerzhaft war wie für ihn, Seite für Seite und Album für Album ihres gemeinsamen Lebens durchzugehen und zu sehen, was für schöne Momente sie miteinander geteilt hatten. Denn das war das Problem mit Fotos. Es gab einen Grund, warum man sie Kodak-Momente nannte, denn wenn die Kamera herauskam, setzten die Leute immer ein Lächeln auf. Man machte keine Fotos von verheulten Wutausbrüchen, von Paaren, die einander nach einem langen Tag die kalte Schulter zeigten, von Teenagern, die nach der Schule nach Hause kamen und verkündeten, sie würden nie wieder hingehen.
    Als Daisy die Kamera auf ihr ausziehbares Stativ stellte, den Selbstauslöser betätigte und sich für das Foto neben Greg stellte, konnte er nicht sagen, ob es ein Kodak-Moment war. Sie lehnte sich gegen seinen Arm, und beide schauten geradeaus.
    Sie machten noch ein paar Aufnahmen mehr, dann nahm er die Kamera in die Hand und richtete sie auf Daisy.
    Wie vorauszusehen war, protestierte sie. „Hey, ich brauche keine weiteren Fotos von mir.“
    „Ich aber.“ Er drückte mehrere Male auf den Auslöser. Das war das Nette an Digitalkameras. Man musste sich keine Gedanken darüber machen, wertvollen Film zu verschwenden. „Komm, tu’s für mich. Ich mache gerne Fotos von meinen Kindern.“
    „Wie du meinst.“ Sie tat ihm den Gefallen und setzte ein Lächeln auf. Nach ein paar Schüssen veränderte sich jedoch etwas. Der Winkel des einfallenden Lichts. Ein Umschwung in der leichten Brise. Die Schatten auf dem Schnee.
    Greg brauchte einen Augenblick, um zu verstehen, dass die Veränderung in seiner Tochter stattfand. Sie war unterschwellig, aber unübersehbar. Etwas, das er vorher schon gesehen hatte – ein Schimmer von Unruhe in ihren Augen, eine ungekannte Weichheit um ihren Mund, die ein Vorbote von Tränen sein konnte, wie er vermutete.
    „Daisy?“ Er senkte die Kamera.
    Irgendetwas in ihr schmolz, als wenn ihre Knochen weich würden. Sie musste sich Halt suchend an den Zaun lehnen. „Daddy.“ Ihre Stimme war schwach und flehend.
    „Was ist los?“ Die verschiedenen Möglichkeiten rasten durch seinen Kopf. Daisy hatte in den letzten Jahren einiges ausprobiert. Sie hatte zugegeben, Alkohol zu trinken, Zigaretten und Pot zu rauchen, die Schule zu schwänzen, Prüfungen absichtlich zu verhauen, schlechte Noten zu bekommen, bis ihm nichts anderes übrig geblieben war, als sie von der Schule zu nehmen. Aber nichts davon hatte sie je dazu gebracht, ihn so anzuschauen, wie sie es jetzt tat.
    „Honey?“, fragte er.
    „Es gibt keinen einfachen Weg, es zu sagen, also sage ich es einfach.“ Sie atmete tief ein, schaute in den Himmel und dann wieder ihn an. Sie atmete aus, und in der Atemwolke stiegen ihre nächsten Worte auf: „Ich bin schwanger.“
    Er erfasste die Worte gar nicht. Es war, als wenn sie in einer fremden Sprache gesprochen hätte, die er nicht verstand. Er konnte sehen, dass sich ihr Mund bewegte, die Silben formte, konnte hören, dass sie Geräusche machte. Aber diese Geräusche ergaben keinen Sinn. Eine Ankündigung hing da einfach bedeutungslos zwischen ihnen in der Luft. Dann passierte etwas – vielleicht ein weiterer Umschwung

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