Das Geheimnis meiner Mutter
und lenkte sie ab. Rufus sprang bei seinem Anblick gegen die Scheibe und beschmierte sie von oben bis unten mit Sabber. Jenny ließ das Kaninchen über die Straße laufen und sah ihm nach, wie es im Unterholz verschwand, bis sein weißes Fell mit dem Schnee verschmolz und sie es nicht mehr sehen konnte. Rufus jaulte enttäuscht auf und setzte sich wieder.
Den Rest des Weges fuhr sie etwas vorsichtiger. Rourke räumte mit dem Schneepflug ein großes Rechteck auf dem Parkplatz vor dem Camp. Dann machten sie sich gemeinsam auf Entdeckungstour über das Grundstück, während der Hund fröhlich neben ihnen hersprang.
„Das ist keine gute Idee“, sagte er nicht zum ersten Mal.
„Jetzt hör endlich auf.“ Sie lief durch den knietiefen Schnee, der so leicht war wie Luft, und wirbelte eine Wolke aus kleinen Flocken auf. „Sei nicht so ein Schisshase“, sagte sie und zog den Schlüssel hervor, den Jane ihr gegeben hatte. „Komm und sieh es dir zusammen mit mir an.“
Sie traten unter dem Torbogen hindurch und wateten durch tiefe Schneewehen. Die gesamte Anlage wirkte wie ein Winterwunderland. Die Hütte, die als Winterhaus bekannt war, war das älteste Gebäude auf dem Grundstück. Sie war für die Gründer des Camps erbaut worden, die Familie Gordon, die in den 1920er Jahren aus Schottland eingewandert war. Sie fragte sich, ob Rourke auch an das andere Mal dachte, als sie gemeinsam hier gewesen waren. Vielleicht erinnerte er sich gar nicht mehr daran. „Home, sweet home“ , sagte sie.
„Das sieht aus wie aus einem Roman von Stephen King.“
So viel zu der Frage, ob er irgendwelche romantischen Assoziationen zu der Hütte hatte. „Oh, still. Es ist perfekt. Wenn ich mein Buch hier nicht fertigbekomme, dann verdiene ich es nicht, mich Schriftstellerin zu nennen.“ Aufgeregt öffnete sie die Tür.
Das Haus war im letzten Sommer renoviert und komplett mit neuen Möbeln ausgestattet worden. Jetzt war es einfach umwerfend. Der Kamin aus Flusssteinen reichte ganz bis an die holzgetäfelte Decke. Zwischen Küche und Essecke stand ein rot emaillierter Ofen. Auf der einen Seite unter dem Dach gab es ein großzügiges Loft, das über eine Leiter zu erreichen war und in dem sich eine Schlafmöglichkeit befand. Das Schlafzimmer selber war im verschwenderischen Luxus einer vergangenen Zeit eingerichtet und hatte ein direkt anschließendes Bad sowie einen rustikalen Schreibtisch, der vor dem Fenster stand, das auf den See hinausging.
Rourke stellte den Heißwasserboiler an und machte sowohl im Kamin als auch im Ofen ein Feuer. Jenny kam strahlend aus dem Schlafzimmer.
„Ich fange an, es zu mögen, eine Bellamy zu sein“, sagte sie.
„Ich denke immer noch, dass du verrückt bist“, erwiderte er.
„Machst du Witze? Am Lake George oder am Saranac Lake zahlen Leute ein Vermögen für Häuser wie dieses hier. Ich wünschte, du würdest dich für mich freuen.“
„Mir gefällt die Idee nicht, dich mitten im Niemandsland allein zurückzulassen.“
„Falls du es noch nicht bemerkt hast, dieses Niemandsland ist nur wenige Autominuten von der Stadt entfernt. Es hat Elektrizität und Telefon. Tu also nicht so, als würde ich auf einer Eisscholle ausgesetzt.“ Sie unterdrückte den Drang, seine Stirn zu berühren und die tiefe Falte zwischen seinen Augenbrauen wegzustreichen. „Ich brauche das, Rourke. Ein wenig Zeit ganz allein mit mir. Ich hätte das vermutlich schon vor langer Zeit tun sollen. Und es ist hier absolut sicher. Mein Großvater ist jeden Winter zum Eisangeln hergekommen. Vielleicht versuche ich das auch mal.“
„Ich schwöre bei Gott, wenn du auf das Eis gehst, werde ich dich in Handschellen zurück in die Stadt bringen.“
Sie lachte, um die unerwartete Reaktion auf die Vorstellung, von ihm in Handschellen gelegt zu werden, zu überspielen. „Ich habe Neuigkeiten für dich, Rourke. Ich bin eine erwachsene Frau, und du bist nicht für mich verantwortlich.“
„Vielleicht nicht, aber weißt du was? Ich bin der Polizeichef, und dieses Haus liegt in meinem Zuständigkeitsbereich. Also sei nicht überrascht, wenn ich beschließen sollte, hier ab und zu Patrouille …“
„Das würdest du nicht tun.“
„Wart’s ab.“
„Du bist verrückt.“
„Verrückt ist, dass du hierbleiben willst. Verdammt, Jenny. Warum bist du in dieser Angelegenheit so dickköpfig?“
„Das hat nichts mit Dickköpfigkeit zu tun“, sagte sie. „Es ist sozusagen meine Unabhängigkeitserklärung. Ich habe alles
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