Das Geheimnis meiner Mutter
gute Zerstreuungstechniken auf Lager. Die Van Deusens waren eine der reichsten und wichtigsten Familien im Bezirk, und Rourkes Dad nutzte jede Gelegenheit, die sich ihm bot, mit ihnen in Kontakt zu kommen.
„Ich werde sie suchen“, sagte Rourke.
„Tu das, mein Sohn“, sagte sein Vater, der den Haarschnitt anscheinend tatsächlich schon wieder vergessen hatte.
„Ja, Sir.“
Endlich erreichten sie Grand Central. Es gab noch ein kleines Durcheinander, bis er seinen Rucksack und alles aus dem Kofferraum geholt und sichergestellt hatte, dass er seine Fahrkarte und alle anderen Reisedokumente beisammenhatte. Das Hupen der Taxis und die Pfiffe und Rufe der Schaffner erfüllten die Luft um ihn herum. Das marmorne Eingangsportal führte in eine Halle, in der es nur so vor Reisenden und Bettlern, Verkäufern und Künstlern wimmelte. Mr Santini kam mit einem aufgespannten Regenschirm um den Wagen herum und schützte die McKnights vor dem prasselnden Regen. Joey versuchte gar nicht erst, einen Platz unter dem Schirm zu ergattern; er setzte einfach die Kapuze seiner Windjacke auf, sprang über eine Pfütze und war der Erste, der die Bahnhofshalle betrat.
Rourke ging zwischen seinen Eltern durch das Portal. Nachdem er das Auto geparkt hatte, gesellte sich Mr Santini zu seinem Sohn. Die McKnights blieben unter der beleuchteten Anzeigetafel stehen und überprüften noch einmal Gleisnummer und Abfahrtzeit des Zuges. Einige der Passanten bedachten sie mit bewundernden Blicken. Das passierte oft, wenn Rourke mit seinen Eltern unterwegs war. Zusammen sahen sie drei wie die typisch amerikanische Familie aus – blond und gesund, gut angezogen und wohlhabend. Manchmal spürte Rourke den Neid der anderen, als wenn sie das haben wollten, was die McKnights hatten.
Wenn sie nur wüssten.
Rourke stahl sich von seinen Eltern fort. Er und Joey tauschten einen Blick. Pure Freude tanzte in Joeys Augen. Einige der Mädchen aus der Schule sagten, Joey sähe aus wie einer von den New Kids on the Block. Rourke war sich da nicht so sicher, aber fest stand, dass Joeys Grinsen ansteckend war. Camp , formte Rourke lautlos mit den Lippen, und er wusste, dass Joey seine heimliche Freude teilte. Wir gehen zusammen ins Camp.
Rourke fragte sich, ob Joey eine Ahnung hatte, wie riesig das war und wie viel er Joey verdankte. Ohne Joey würde Rourke nämlich nirgendwohin gehen. Als das Thema Camp Kioga das erste Mal zur Sprache kam, hatte der Senator die Idee sofort verworfen. Es war Joey, der auf seine lockere Art all die anderen Kinder aufgezählt hatte, die ein Sommercamp besuchten. Er hatte so getan, als würde er allein zu Rourke sprechen, war dabei aber darauf bedacht, alle wichtigen Familien zu nennen; die Leute, die Rourkes Vater bewunderte und deren Bekanntschaft er sorgsam pflegte. Rourke hatte seine Eltern dann davon überzeugen können, dass es eine gute Idee sei, Joey mitzunehmen, und so war die Entscheidung schließlich zu seinen Gunsten ausgefallen.
Als sie am Gleis ankamen, verabschiedete Rourke sich von seinen Eltern. Er streckte seinem Vater die Hand hin, die dieser für einen Augenblick so fest drückte, als wolle er einen bleibenden Eindruck hinterlassen. „Vergiss niemals, wer du bist“, sagte der Senator. „Mach deiner Familie alle Ehre.“
Rourke sah ihm in die Augen. „Ja, Sir.“
Die Aufmerksamkeit des Senators war schon wieder ganz woanders. Er ließ seinen Blick über den Bahnsteig schweifen. Rourke schüttelte innerlich den Kopf. Hier war sein Vater also und verabschiedete sich von seinem Sohn, den er zehn ganze Wochen nicht sehen würde, und alles, was ihn interessierte, war, nach seiner Wählerschaft Ausschau zu halten.
Zumindest ermöglichte das seiner Mutter ein paar Extraminuten, um sich von Rourke zu verabschieden. Sie zog ihn in ihre Arme und hielt ihn ganz fest. Er war inzwischen schon ein kleines bisschen größer als sie, sodass sie keine Schwierigkeiten hatte, ihm etwas ins Ohr zu flüstern, während sie ihn umarmt hielt.
„Du wirst eine wundervolle Zeit haben“, sagte sie. „Camp Kioga ist einfach … magisch.“
„Julia.“ Die Stimme des Senators unterbrach diesen Moment. „Wir müssen los.“
Sie drückte ihren Sohn ein letztes Mal. „Vergiss nicht, zu schreiben.“
„Ich werde dran denken.“
Er stand auf dem Bahnsteig und schaute ihnen hinterher; ein schlankes, attraktives Paar in modischen Regenmänteln. Seine Mutter schob ihre Hand in die Armbeuge ihres Mannes. Rourke kniff die Augen
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