Das Geheimnis unserer Herzen: Roman (German Edition)
geglaubt, er durchdächte ihre Hypothese, doch mittlerweile war sie ziemlich sicher, dass er sie wahrscheinlich nur bei Laune hatte halten wollen. Aber nun würde sie ihm das Gegenteil beweisen – ihm und dem Rest der wissenschaftlichen Gemeinde, die Vanessa für engstirnig und völlig unqualifiziert hielt.
Sie hatte versucht, Mr. McElroys Standpunkt darzulegen, indem sie mehrere Briefe an Fachzeitschriften geschickt hatte, die seine Theorie unterstützten, dass der von ihm aufgefundene Knochen zu einem Tier gehörte, das die Schotten als Wasserpferd bezeichneten. Aber nicht einer dieser Briefe war von irgendeinem der wissenschaftlichen Journale veröffentlicht worden. Vanessa glaubte zwar nicht, dass noch immer eine sagenhafte Kreatur in jenen torfverschmutzten Gewässern lebte, aber etwas hatte vor vielen Jahren dort gelebt, und der Beweis dafür wartete nur darauf, von ihr entdeckt zu werden.
Unbewusst kaute sie auf der Spitze ihres Stifts herum und sammelte ihre Gedanken, bevor sie etwas notierte.
»Was tut ’n hübsches Ding wie Sie hier ganz allein?« Ein stiernackiger Mann ließ sich auf den leeren Stuhl neben Vanessas fallen. Sein ausgeprägter schottischer Akzent und seine vom Alkohol schon undeutliche Stimme erforderten einige Konzentration, um zu verstehen, was er sagte. Als sein Blick auf ihr Notizbuch fiel, rümpfte er die Nase. »Was tun Sie da in diesem Buch?«
Sie schloss das Buch über ihrer Hand, um die Stelle zu markieren, und blickte ihn streng über ihre Brillengläser an. »Ich arbeite, Sir, und Sie stören mich.« Vielleicht hätte sie in ihrem Zimmer bleiben sollen. Aber sie war hungrig gewesen, und die Schankmagd hatte gesagt, dies sei der einzige Ort, wo sie etwas essen könnte. Deshalb hatte sie sich hier unten an einen Tisch gesetzt, um auf ihren Lammeintopf zu warten.
Der Mann stieß ein tiefes, derbes Lachen aus. »Ich störe Sie? Na, das werden wir ja sehen.« Blitzschnell streckte er die Hand aus und zog sie mit einer einzigen Bewegung auf seinen Schoß, wobei er das Notizbuch auf den Boden fegte. Vanessa wehrte sich, trat nach seinen Beinen und versuchte, mit den Fäusten nach seiner Brust zu schlagen, aber er packte sie an beiden Handgelenken und hielt sie in einem schraubstockartigen Griff.
»Lassen Sie mich los, Sir!«, fuhr sie ihn an, während sie sich nach Kräften wehrte und Jeremys Notizbuch mit den Seiten nach unten auf dem schmutzigen Boden liegen sah. So befriedigend es vielleicht auch wäre, etwas von ihm zu zerstören, sie brauchte diese Notizen. »Ich muss meine Aufzeichnungen aufheben!«
»Ach was, das glaub ich nicht. Du bist ein leckeres kleines Häppchen«, sagte er und drückte sein Gesicht in ihr Haar. »Und riechst auch gut. Wie Blumen und Honig.«
Vanessas Herz schlug so schnell und hart, dass sie es in ihren Ohren dröhnen hörte. Sie hatte die Situation nicht sorgfältig genug bedacht, war so auf ihre Recherche konzentriert und mit ihren Zielen beschäftigt gewesen, dass sie sich nicht damit aufgehalten hatte, über ihre Umgebung nachzudenken. Dies war keine Gegend, die eine Frau aus gutem Hause allein bereisen sollte. Und trotzdem war sie hier – was nicht sehr klug von ihr war, wie sie sich jetzt eingestehen musste. Es war genau dieses impulsive, unüberlegte Handeln, das ihre Mutter an ihr so störend fand.
Trotzdem bestand kein Grund zur Panik; das war die Reaktion, die von ihren Schwestern zu erwarten wäre. Vanessa dagegen war besonnen und im Allgemeinen auch ganz gut darin, mit kniffligen Situationen fertigzuwerden. Bei dieser würde es nicht anders sein. Sie musste nur ruhig bleiben, einen kühlen Kopf bewahren und einen Weg finden, diesem aufdringlichen Burschen zu entkommen. Vielleicht sollte sie sich einfach losreißen und zu ihrem Zimmer hinauflaufen. Aber solange der Kerl sie in diesem eisernen Griff festhielt, war das unmöglich. Sie könnte natürlich auch um Hilfe rufen. Vielleicht war den anderen Gästen einfach nur nicht klar, dass sie kein Interesse an den Avancen dieses Mannes hatte? Eine solch große Ansammlung von Leuten würde doch gewiss nicht zulassen, dass dieser Mann ihr wirklich etwas tat.
Als jedoch drei andere stämmige Schotten aufstanden und mit lüsternen Blicken zu ihr herüberschlenderten, begann sie an ihren Überzeugungen zu zweifeln. Diese Männer würden sie nicht beschützen, sondern ihren Angreifer höchstens unterstützen. Jetzt erkannte sie den großen Fehler in ihrer Logik. Sie hatte ihre Lage völlig
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