Das Geheimnis unserer Herzen: Roman (German Edition)
Brot ist fertig, und Sie sind doch sicher hungrig. Sie sind ja dünn wie eine Bohnenstange.«
Vanessa stieß ein sehr undamenhaftes Schnauben aus. »Ich wüsste nicht, dass ich schon mal von jemandem als dünn bezeichnet worden wäre. Aber trotzdem vielen Dank.« Sie setzte sich und wartete geduldig, während die Frauen sich in der kleinen Küche beschäftigten und schließlich mit einem Glas eingemachtem Obst, Butter und dem noch heißen Brot zum Tisch zurückkamen. »Wo ist Graeme?«, fragte Vanessa.
»Ich habe ihn heute Morgen noch nicht gesehen«, antwortete seine Mutter. »Ich bin übrigens Moira, und diese ältere Dame ist meine Mutter, die hier jedoch alle nur Old Mazie nennen.«
»Ich bin Vanessa. Freut mich sehr, Sie beide kennenzulernen«, sagte sie. »Und es war sehr freundlich von Ihnen, mir zu erlauben, die Nacht hier zu verbringen. Ich werde heute sicher ein geeigneteres Gasthaus finden, sodass ich Ihnen nicht mehr zur Last fallen muss.«
»Sie hatten ein Zimmer im Pub?«, fragte Old Mazie.
»Ja.«
»In Inverness hätten Sie mehr Glück gehabt«, warf Moira ein.
»Ich bezweifle nicht, dass das viel größere Inverness bessere Möglichkeiten bietet«, sagte Vanessa. »Aber da ich zu Forschungen hier bin, muss ich in der Nähe von Loch Ness bleiben.«
»Forschungen?«, fragte Moira, als sie einen Teller mit gebuttertem Brot und Obst vor Vanessa hinstellte. »Essen Sie, dann können Sie mir von Ihrer Arbeit erzählen.«
Vanessa lächelte und biss mit Appetit in das noch warme Brot. Sie war schrecklich hungrig, nachdem sie gestern Abend auf ihr Essen hatte verzichten müssen.
»Was gibt es hier denn zu erforschen?«, wollte Old Mazie wissen.
»Oh, sehr viel. Ein großer Teil Ihres Landes ist noch unerschlossen, anders als in England. Aber was ich erforsche, sind Fossilien.«
»Fossilien?«
»Ja, Abdrücke im Felsgestein von Pflanzen und Tieren, die früher einmal in dieser Gegend lebten. Und natürlich untersuche ich auch Knochen. Das ist alles ungeheuer faszinierend«, sagte Vanessa.
»Ja, das kann ich mir vorstellen«, erwiderte Moira trocken. »Und Knochen haben wir hier ja genug. Erst vor ein paar Monaten hat irgendjemand etwas in den Höhlen ausgegraben, von dem er meinte, es würde beweisen, dass es einen Kelpie in unseren Gewässern gibt. Aber das wussten wir natürlich alle schon seit Jahren.«
»Ich hab ihn sogar mit eigenen Augen gesehen«, erklärte Old Mazie mit einem zustimmenden Nicken.
Bevor Vanessa etwas dazu bemerken konnte, betrat Graeme den Raum. Er hatte sich offensichtlich die Zeit für ein Bad genommen, denn sein langes Haar war noch so feucht, dass es sein weißes Hemd durchnässte. Und das war noch nicht alles – heute Morgen trug er sogar einen echten schottischen Kilt. Vanessa bekam einen trockenen Mund beim Anblick seiner langen, nackten Beine. Natürlich waren nicht seine ganzen Beine nackt, nur von den Knien abwärts, was aber genügte, um ihr einen Eindruck der maskulinen Kraft zu vermitteln, die in ihnen stecken musste. Er tappte auf bloßen Füßen in den Raum und hielt ein Paar Stiefel und lange, wollene Socken in der Hand. Er war ein Bild von einem Mann. Aber das war auch schon alles, was Vanessa empfand – Bewunderung und Anerkennung für einen gut gebauten Körper. So wie sie Michelangelos David vielleicht bewundert hätte. Graeme setzte sich auf eine Bank neben ihr und bückte sich, um seine Stiefel anzuziehen. Vanessa beobachtete, wie er ordentlich einen Socken nach dem anderen überstreifte und dann in seine abgetragenen Lederstiefel stieg und sie zuschnürte. Seine langen Finger, die mit feinem, dunklem Haar bedeckt waren, waren flink und schnell.
Als Wissenschaftlerin war sie natürlich vertraut mit der Arbeit von Charles Darwin. Sie stimmte zwar nicht all seinen Ideen zu, aber beim Anblick Graemes konnte sie sich vorstellen, dass die Vollkommenheit dieses … männlichen Körpers einen entschiedenen Vorteil darstellte, was das Bezirzen junger Damen anbelangte.
»Sind Sie bereit?«, fragte Graeme.
»Bereit wozu?«, entgegnete Vanessa, deren Stimme selbst in ihren eigenen Ohren ein wenig heiser klang.
»Ich wollte Sie in die Stadt bringen.«
»Oh.« Sie erhob sich, beschämt, beim Tagträumen ertappt worden zu sein. Besonders, da diese Träumereien solch ganz persönlicher Natur gewesen waren.
»Danke für das Frühstück. Es war köstlich. Und es war schön, Sie beide kennengelernt zu haben.« Vanessa war nicht sicher, ob sie sagen sollte,
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