Das Geheimnis unserer Herzen: Roman (German Edition)
über Graeme. Er war viel gebildeter, das konnte jeder sehen. Aber ein Schotte war er trotzdem.
»Meine Arbeit geht Sie gar nichts an«, beschied er sie. »Und jetzt hören Sie auf, so verdammt stur zu sein, damit wir Sie zum Bahnhof bringen können.« Er zog an ihrem Arm, aber Vanessa sträubte sich und gab nicht nach.
»Es tut mir leid, aber da Sie nicht mein Ehemann sind, können Sie mir auch nicht sagen, was ich zu tun habe.« Und weil sie gar nicht anders konnte, begleitete sie ihre Worte mit einem süffisanten Lächeln.
»Ich habe den Verdacht, dass Sie sich, selbst wenn ich Ihr Mann wäre, nicht meinen Wünschen fügen würden.«
»Da haben Sie vermutlich recht.«
»Dann lassen Sie mir keine andere Möglichkeit«, erklärte er, während er sie einfach hochhob und über seine Schulter warf, als wöge sie nicht mehr als ein Kind.
Sobald Vanessas erster Schreck verflogen war, wurde ihr bewusst, wie intim ihre momentane Lage war. Sie lag über Graemes Schulter, mit ihrem Allerwertesten für jedermann sichtbar in der Luft. Natürlich war er bedeckt, was aber nichts daran änderte, dass Graemes Arm direkt über ihren Kurven lag.
»Das ist unerhört! Völlig inakzeptabel«, protestierte sie erbost. »Ich verlange, dass Sie mich sofort herunterlassen!«
Graeme ignorierte sie nicht nur, sondern bewegte auch noch seinen Arm, damit seine Hand auf ihrem Po zu liegen kam. Und dann gab er ihr auch noch lachend einen Klaps darauf!
Vanessa zerbrach sich den Kopf nach einer passenden Bemerkung, einer scharfen Zurechtweisung, einer bissigen Belehrung – irgendetwas, das ihn dazu bringen würde, sie herunterzulassen und mit dieser unerhörten Behandlung aufzuhören. Stattdessen aber kam ihr der Gedanke, dass sie die Berührungen der Männer am Abend zuvor zwar als äußerst widerlich empfunden hatte, Graemes Hand auf ihr aber gar keine solchen Gefühle in ihr erzeugte. Im Gegenteil sogar. Seine Berührung war natürlich viel zu intim und äußerst unpassend, aber auch nicht völlig reizlos – obwohl sie das natürlich niemals zugegeben hätte.
Graeme trug sie so den ganzen Weg zum Bahnhof. Sie kamen an einigen Leuten vorbei, die sie anstarrten, von denen aber keiner stehen blieb, um zu fragen, ob sie Hilfe brauchte. Als er sie endlich wieder herabließ, landete sie mit einem dumpfen Aufprall auf dem Holzfußboden. Neben ihr entdeckte sie zu ihrer Überraschung ihren Reisekoffer.
»Wie ist denn der hierhergekommen?«, fragte sie, als sie sich aufrappelte.
»Den habe ich schon heute Morgen hergebracht, als ich Ihren Rückfahrschein nach London gekauft habe. Ich bin mir sicher, dass Ihr Verlobter und Ihre Familie froh sein werden, Sie wohlbehalten zurückzubekommen«, sagte er.
»Ob mein Verlobter oder irgendjemand sonst sich Sorgen macht, ist … nun ja, nicht Ihre Sache. Sie sind weder mein Vater noch mein Ehemann, und Sie haben nicht das Recht, mir zu sagen, wann ich dieses Land zu verlassen habe.« Sie trat dicht vor ihn hin, machte sich so groß sie konnte und stieß mit einem Finger gegen seine harte Brust. »Ich werde abreisen, wenn ich so weit bin, und keinen Moment früher.«
Seine Mundwinkel zuckten, als sei er versucht zu lächeln, aber dieses Lächeln konnte sich nicht durchsetzen. »Eine gute Reise wünsche ich Ihnen. Es war interessant, Ihre Bekanntschaft zu machen, Vanessa.« Und damit wandte er sich ab und ging.
Vanessas erster Gedanke war, ihm hinterherzulaufen und ihm gründlich den Kopf zu waschen. Aber dann besann sie sich eines Besseren und tat es nicht. Weil es keine Lösung wäre und außerdem nichts von alldem eine Rolle spielte. Sie konnte bleiben, sich irgendwo anders ein Zimmer nehmen und sich von diesem Rüpel fernhalten. Sie musste mit ihren Forschungen beginnen, und sie konnte andere Mittel und Wege finden als Graeme, um in diese Höhlen hineinzugelangen. Dazu war sie überhaupt erst in dieses kalte Land gekommen. Sie atmete tief aus und sah die Nebelwölkchen, die ihr Atem vor ihr bildete. Oh nein, sie würde nicht von hier weggehen, bis sie ihre Arbeit vollendet hatte.
Sie sah Graeme nach, der ungerührt seinen Weg fortsetzte. Sein Kilt bedeckte seine kräftigen Oberschenkel, und Vanessa ertappte sich bei der Hoffnung, dass ein Windstoß ihn nach oben wehen möge. Bist du jetzt komplett verrückt geworden?, tadelte sie sich. Noch nie in ihrem Leben hatte sie den Wunsch verspürt, den Allerwertesten eines Manns zu sehen. Dieser verflixte Kerl!
Wütend ließ sie sich auf eine Bank
Weitere Kostenlose Bücher