Das Geheimnis unserer Herzen: Roman (German Edition)
Graeme und Vanessa behaupten, auch sie hätten beschlossen, über Nacht zu bleiben. Was nicht allzu schwer zu glauben war, da mehrere Dienstboten sie nur Stunden zuvor als Dinnergäste gesehen hatten.
»Hier entlang«, sagte Vanessa und ging leise durch das Erdgeschoss zu dem Speisezimmer voran, in dem sie den Wandteppich gesehen hatte. »Da ist er«, raunte sie.
Alle vier gingen zu dem riesigen Gobelin hinüber, der die ganze Wand über einem Büfett bedeckte. Der Bildteppich, wie die meisten seiner Epoche, stellte Szenen aus dem Alltagsleben dar – eine Huldigung an den Familiensitz und das Leben dort. Frauen kneteten Brotteig, Männer jagten, andere Männer fochten Kämpfe aus, und über allem erhob sich die burgähnliche Abtei im Hintergrund.
»Was suchen wir?«, fragte Esme.
»Das.« Vanessa deutete auf das Bild in der rechten Ecke, das einen Ritter mit einem Stein in seinen Händen zeigte.
»Es sieht aus wie alle anderen Beschreibungen oder Illustrationen, die ich zu dem Stein der Vorsehung gefunden habe«, sagte Graeme verblüfft. Auf dem zweiten Bild versteckte der Ritter den Stein irgendwo in der Abtei. In einer erst teilweise erbauten Abtei, als symbolisierte dieses zweite Bild, dass der Stein im wahrsten Sinne dieses Wortes ein Bestandteil des Gebäudes war.
»Sieht ganz so aus, als wäre der Stein in die Abtei eingebaut worden«, sagte Fielding und fasste damit Graemes eigene Überlegungen in Worte.
»Aber das kann nicht sein«, widersprach Graeme.
»Und warum nicht?«, fragte Vanessa.
»Weil diese Abtei nahezu zerstört worden ist und erst Randolph sie wiederaufgebaut hat.« Graeme fuhr mit der Hand über das Gewebe. »Wäre der Stein die ganze Zeit über hier gewesen, könnte er zerstört oder woandershin gebracht worden sein.« Graeme schwieg einen Moment, bevor er hinzufügte: »Es sei denn, es existierte noch ein Teil dieses Gebäudes, den Randolph unberührt gelassen hat.«
»Falls der Stein der Vorsehung während des Erbauens irgendwo eingefügt wurde, werden wir ihn vermutlich an einer der Außenmauern finden.«
»In den oberen Stockwerken ist schon alles renoviert worden«, sagte Esme. Als ihr Mann sie misstrauisch ansah, zuckte sie mit den Schultern. »Mr. Randolph hat mich überall herumgeführt, während ihr im Dorf wart, um euch umzuhören.«
»Hast du bei eurer Besichtigungstour irgendeinen Teil der Abtei gesehen, der sich noch im Originalzustand befindet?«, warf Graeme ein.
Esme blickte zur Zimmerdecke auf, als suchte sie dort nach einer Antwort, bevor sie den anderen dreien ein verschmitztes Lächeln schenkte. »Ja. Die Kapelle«, sagte sie und begann schon in Richtung Tür zu eilen. »Hier entlang.«
Sie folgten ihr einen langen, dunklen Gang hinunter, der sie zu zwei Doppeltüren brachte, die in die kleine Kapelle führten. Graeme zündete die Wandleuchter an, und ihr warmes Licht verbreitete sich in der kleinen Kirche.
Sieben hölzerne Kirchenbänke standen in der Mitte des Raums, und neben dem Altar ragte noch die holzgeschnitzte Kanzel auf, auf der der Priester seine Predigten gehalten hatte.
»Hier drinnen waren wir nicht auf unserer Tour. Er hat nur kurz die Tür geöffnet und mich hineinschauen lassen«, sagte Esme.
»Die Kapelle wirkt auf jeden Fall sehr alt«, sagte Vanessa, während sie mit der Hand über eine der Bänke strich. »Das Holz ist nicht poliert wie in der restlichen Abtei.«
»Ich glaube nicht, dass dieser Teil der Abtei zerstört wurde, was der Grund dafür sein dürfte, dass Randolph sie unberührt gelassen hat«, meinte Graeme.
»Wir suchen also einen Stein«, sagte Fielding. »Wie den in Westminster?«
Graeme nickte. »Genau.«
Vier bogenförmige Fenster säumten die rechte Außenwand, während die Wand hinter dem Altar durchgehend aus Mauerwerk bestand. Zusammen gingen sie zu dieser Wand hinüber.
Graeme beobachtete, wie aufmerksam Vanessa ihre Hände über die Steine gleiten ließ. Sie hatte eigentlich nichts zu tun mit seinen Forschungen, und trotzdem arbeitete sie tagtäglich an seiner Seite. Unermüdlich. Und wenn sie sich überhaupt einmal beklagte, dann nur äußerst selten. Sie zeigte Interesse an seiner Arbeit und an seiner Forschung. Er wusste, dass sie von Natur aus neugierig war, und trotzdem rührte ihn ihr Interesse und Verständnis. Sie war eine gute Gefährtin für ihn. Eine gute Partnerin.
Außerdem war sie schön und intelligent und brachte ihn zum Lachen. Genau die Art von Frau, nach der er gesucht hätte, wenn ihm
Weitere Kostenlose Bücher