Das Geheimnis unserer Herzen: Roman (German Edition)
sich für sie entscheiden. Seine Frau seinem Bruder vorziehen. Die Stärke seiner Loyalität löste eine Flut intensivster Gefühle in ihr aus. Im Zweifel würde er sich für sie entscheiden, würde eine Wahl treffen, von der sie bezweifelte, dass ihre eigene Familie sie träfe. Tatsächlich konnte sie sich nicht einmal erinnern, dass sich überhaupt schon einmal jemand für sie entschieden hatte.
Vanessa hätte gern etwas gesagt, um Graeme zu danken, aber im Moment fand sie einfach nicht die richtigen Worte. Und dann kam ihr auf einmal ein bitterer Gedanke: Auch Graeme hatte sich nicht für sie entschieden. Er sagte nur, er würde es tun, wenn er vor die Wahl gestellt würde. Aber ihre Heirat war ein Unfall gewesen, ein spontaner, dummer Einfall bestenfalls. Keiner von ihnen hatte sich für diese Verbindung entschieden. Und würde Graeme diese Wahl geboten, wäre er vielleicht gar nicht so loyal ihr gegenüber.
»Lass uns gehen und uns den Hinweis ansehen, den du gefunden hast«, sagte er und drückte noch einmal ihre Hände, bevor er sich erhob.
»Hast du nicht gesagt, du hättest Der Drei Weisen Buch der Weisheit in dieser Abtei gefunden?«, fragte sie.
»Unter dem Gebäude. Dort gibt es eine uralte Kammer, in der die Mönche die Kirchenschätze verbargen. Aber die Männer von Solomon’s haben sie schon vor Jahren leer geräumt, gleich nachdem ich Der Drei Weisen Buch der Weisheit dort gefunden hatte.«
»Vielleicht hast du am falschen Ort gesucht«, wandte sie ein. »Die Abtei ist ein weitläufiges Gebäude.«
»Ich weiß es nicht.« Graeme stöhnte vor Frustration. »Aber falls das verdammte Ding die ganze Zeit dort war …« Er beendete den Satz nicht und schüttelte den Kopf.
»Ich habe Esme gesagt, dass wir zur Abtei kommen werden, damit sie uns durch eine Tür hereinlassen kann, ohne den ganzen Haushalt auf uns aufmerksam zu machen«, sagte sie. »Lass uns gehen und einen Blick auf diesen Wandbehang werfen, und falls du meinst, ich irrte mich, dann gehen wir wieder. So einfach ist das.«
»Nichts ist je einfach bei dir, Vanessa«, erwiderte er.
Kapitel siebzehn
D urch die abendliche Stille gingen Vanessa und Graeme die Hügel hinauf zur Abtei. Die Dunkelheit war längst hereingebrochen, aber das Mondlicht erhellte ihnen den Weg, und Graemes Laterne war auch eine Hilfe, wenn Bäume die silbrigen Mondstrahlen verdeckten. Bald schon befanden sie sich vor dem Tor in der Mauer, die das zur Abtei gehörende Gelände schützte. Ein großes Vorhängeschloss sicherte das Tor.
»Ich hatte nicht damit gerechnet, dass das Tor verschlossen sein könnte«, sagte Vanessa.
Statt einer Antwort griff Graeme in Vanessas Tasche, um ihr Werkzeug herauszuholen. Sorgsam suchte er ein flaches, metallenes Instrument aus und begann an dem Schloss zu arbeiten.
»Woher hast du diese Werkzeuge?«, flüsterte er.
»Sie gehörten meinem Vater.«
»War er auch Wissenschaftler?«, fragte Graeme, während er das Werkzeug in das Schloss bugsierte.
»Ja.«
»Ganz schön fortschrittlich von ihm, einer Tochter sein Werkzeug zu hinterlassen«, bemerkte Graeme.
»O nein. Er hätte es mir niemals hinterlassen. Wahrscheinlich wäre er sogar sehr verärgert, wenn er wüsste, dass ich es habe. Ich habe es aus den Kisten mit seinen Sachen geklaut, bevor meine Mutter sie einem Wohlfahrtsverband bringen ließ.«
Graeme blickte auf, um seine Frau anzusehen, aber im selben Moment gab das Schloss nach, und das Tor schwang auf. Schnell versuchte er noch, ihren Gesichtsausdruck einzuschätzen, aber im Dunkeln konnte er nichts in ihren Augen lesen.
»Gehen wir?« Vanessa schob sich an ihm vorbei und betrat den Hof, der zu der Abtei führte.
Vorsichtig näherten sie sich dem Gebäude und gingen geradewegs auf die Seitentür zu, auf die Vanessa und Esme sich geeinigt hatten.
»Vanessa? Ich bin hier«, flüsterte Esme.
Vanessa nahm die Hand ihres Mannes und zog ihn zu der Tür. Als sie eintraten, stand Vanessa Fielding gegenüber, der sie mit seltsamem Gesichtsausdruck ansah und dann Graemes Blick suchte.
»Wusstest du davon?«, fragte Graeme ihn.
Fielding schüttelte den Kopf. »Nein, aber euch hier zu sehen, überrascht mich nicht. Meine reizende Frau wäre nicht sie selbst, wenn sie nicht überall versuchte, sich in Schwierigkeiten zu bringen.«
»Sei nicht so pingelig. Sie brauchen unsere Hilfe«, sagte Esme.
Es war so spät, dass Randolph und die Bediensteten schon schlafen müssten, doch falls sie jemandem begegneten, würden
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