Das Geheimnis von Digmore Park
er zusammengekrümmt wie ein Häufchen Elend auf seinem Sofa lag und dankbar die Speisen entgegennahm, die seine Herrin ihm vorbeibrachte. „Essen und Trinken sind doch die einzigen Lichtblicke, die mein Alter noch zu bieten hat. Auszureiten ist mir schon lange nicht mehr möglich. Meine Augen werden immer schlechter, sodass ich meine geliebten Bücher schon längst zur Seite legen musste. Wenn man mir jetzt auch noch meinen Rotwein nimmt, welche Freude hätte ich dann noch am Leben?“
Was hätte Elizabeth erwidern sollen?
Für den Ausritt am Nachmittag ließ sie sich Little Brown Lady, die Stute ihrer Mutter, satteln. Lady Portland hatte das Pferd aufgrund seiner Schönheit, des glänzenden haselnussbraunen Fells und der sanften braunen Augen ausgewählt und nicht etwa deshalb, weil es sich durch Schnelligkeit oder Temperament ausgezeichnet hätte. Ein Umstand, der ihrer Tochter schmerzlich bewusst wurde, als der Gaul langsam seines Weges trottete und, wollte sie ihn zu einem schnellen Galopp bewegen, kurzerhand den Gehorsam verweigerte. Ihre übliche Runde dauerte auf diese Weise mehr als doppelt so lang. Elizabeth war müde und abgeschlagen nach Hause gekommen. Und jetzt stand sie da im Rosengarten mit zerstochenen Händen. Alles in allem: Mr. Bavis hatte einen sehr ungünstigen Augenblick gewählt, um seinen Heiratsantrag zu wiederholen. Wäre er klug und achtsam gewesen, dann hätte ihm Elizabeths finstere Miene eine Warnung sein können. Doch Mr. Bavis war weder klug noch achtsam.
„Einen guten Abend, Miss Elizabeth. Was für ein erbaulicher Anblick in diesem schönen Rosengarten. Eine Blüte unter Blüten, wenn ich es poetisch ausdrücken darf.“
Er war aus dem Sattel gesprungen und führte sein Pferd am Zügel. Elizabeth nickte ihm zu. Sie bemühte sich nicht einmal um ein kleines Lächeln. Doch jetzt, da er so freudig vor ihr stand, verließ sie der Mut für eine deutliche Abfuhr.
„Guten Abend, Mr. Bavis“, sagte sie daher viel freundlicher als geplant, „ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber Ihr Besuch kommt heute leider ganz und gar ungelegen. Sie wissen es wahrscheinlich noch nicht, doch mein Bruder hat einen Gast mitgebracht. Ich muss mich meinen Pflichten als Hausherrin widmen.“
Mr. Bavis wusste sehr wohl, dass Billy Lord Linworth nach Portland Manor mitgebracht hatte. Um genau zu sein: Es war dessen Anwesenheit, die ihn dazu veranlasst hatte, keine Zeit mit Warten zu vergeuden und sich unverzüglich aufzumachen. Er hatte die beiden Männer am frühen Nachmittag auf Wildrose Manor getroffen, als sie sich ins Wettbuch für das morgige Rennen eintrugen. Ein verdammt gutaussehender Kerl, dieser Linworth. Groß gewachsen, schlank und sportlich. Sicher hatte er es nicht nötig, seine Schultern ausstopfen zu lassen, wie Bavis mit kundigem Blick und einer Mischung aus Missfallen und Neid festgestellt hatte. Nicht, dass er diesen jungen Stutzer als ernsthafte Konkurrenz um die Hand der schönen Miss Porter gefürchtet hätte. Dennoch, er kam aus der Stadt. Die Londoner Dandys waren bei den jungen Damen auf dem Lande besonders begehrt.
„Ich muss mich also von Ihnen verabschieden. Auf Wiedersehn, Mr. Bavis! Danke für Ihren Besuch. Ich werde Mama Ihre Grüße bestellen.“
Elizabeths energische Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er hatte nicht die geringste Absicht zu gehen. Im Gegenteil: Jetzt, da sie selbst Linworths Anwesenheit erwähnt hatte, begannen die Alarmglocken erst richtig zu schrillen. Höchste Zeit, dass er Nägel mit Köpfen machte!
„Oh, ich habe es nicht eilig, Miss Porter. Sie sind dabei, Rosen zu schneiden? Lassen Sie mich dabei helfen!“
Elizabeth zuckte mit den Schultern und fügte sich ins Unvermeidliche. So vergingen die nächsten Minuten damit, dass Mr. Bavis mit kritischem Blick die Rosenbüsche abschritt und sie mit wichtigtuerischer Miene aufforderte, die eine oder die andere der Knospen abzuschneiden. Er bedauerte, keinen Strauch „Pink Perpetué“ vorzufinden, die die Lieblingsblume seiner geliebten Mutter war und das Blütenarrangement auf das Beglückendste vervollkommnet hätte. Dabei sprach er viel, er sprach laut, und er nahm Elizabeths Aufmerksamkeit voll in Beschlag. So entging es ihr, dass sich ein Fahrzeug über die Auffahrt näherte und der Pfarrer von St. Ann höchstpersönlich seine wohlbekannte Kutsche auf dem Vorplatz zum Stehen brachte.
Hätte noch etwas gefehlt, um ihr diesen Tag gründlich zu verderben, so wären es fraglos die
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