Das Geheimnis von Digmore Park
gewesen. Eine Gestalt, in dunkles Tuch gekleidet, beugte sich über ihren Schreibtisch und klopfte mit der flachen Hand ungeduldig die Wände hinter der aufklappbaren Tischplatte ab. Aha, schoss es ihr durch den Kopf, das suchst du also! Es wunderte sie nicht, dass er wusste, dass der Schreibtisch über ein Geheimfach verfügte. Die meisten Schreibmöbel taten das. Und wie es Geheimfächer so an sich hatten, waren sie sehr schwer zu finden. Wer verfiele schon auf die Idee, die unterste Schublade herauszuziehen, um dann ganz hinten den kleinen Verschluss zu finden, mit dem man die Tür zum Geheimfach öffnen konnte? Vater hatte ihr kurz vor seinem Tod den Mechanismus enthüllt, und sie hatte das Geheimnis niemandem verraten, nicht einmal ihrer Mutter oder ihrem Bruder. Elizabeth schlich ins Zimmer, den Schürhaken in beiden Händen, bereit, ihn jederzeit auf den Schädel des Eindringlings niedersausen zu lassen. Sie war dabei so bedacht darauf, nicht den kleinsten Laut zu verursachen, dass sie das lockere Dielenbrett im Fußboden völlig vergaß. Es knarrte laut und vernehmlich unter ihren Füßen, und der leise Fluch, der ihren Lippen entfloh, trug auch nicht dazu bei, unentdeckt zu bleiben.
Der Einbrecher fuhr herum. „Was zum Teufel! Aua!“
Mit einem Schmerzensschrei sank er zu Boden und sah mit großen Augen zu der jungen Frau empor, die mit aller Wucht den Schürhaken auf ihn hatte niedersausen lassen.
12. Kapitel
„Billy! Um Himmels willen, was machst du um diese Stunde in meinem Büro?“ Elizabeth ließ den Schürhaken laut scheppernd auf den Boden fallen. Zum Glück hatte sie nicht den Kopf, sondern nur die Schulter ihres Bruders erwischt. Dieser fasste sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an die getroffene Stelle.
„Hast du den Verstand verloren, Lizzy? Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht, mich hinterrücks anzugreifen? Du hättest mich umbringen können.“
Elizabeth, froh, dass ihr Bruder nicht ernsthaft verletzt war, fiel der eigentliche Grund ihres Hierseins wieder ein. „Kannst du dir vorstellen, wie erschrocken ich war, als ich das Licht in meinem Büro bemerkte? Was um alles in der Welt bringt dich dazu, die Türe aufzubrechen, als wärest du ein gemeiner Einbrecher? Was hast du hier zu suchen?“
Billy rappelte sich mühsam auf, und seiner schuldbewussten Miene war zu entnehmen, dass es ihm schwerfiel, seiner Schwester in die Augen zu sehen.
„Ich weiß, es war nicht recht, Lizzy, doch ich hatte keine andere Wahl. Ich brauche Geld.“
„Und nur weil du Geld brauchst, brichst du die Tür auf? Du hättest es mir schlicht und einfach Bescheid sagen können, und ich hätte dir das Geld gegeben.“
Billy seufzte und ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl fallen. „Das sagst du so leicht! Du hast leider keine Ahnung, Schwesterherz, was für eine Summe ich brauche.“
„Wie viel, Billy?“
„Mehr als du bereit gewesen wärst, mir freiwillig zu geben!“
„Wie viel, Billy?“, wiederholte sie und war sich im selben Moment nicht mehr sicher, ob sie die Wahrheit überhaupt erfahren wollte.
Doch dann nannte er eine Zahl, und Elizabeth wurde kreidebleich und sank in den schweren Ledersessel gegenüber ihrem Schreibtisch. Darauf hatte sich ihr Vater am liebsten zurückgezogen, wenn er in Ruhe nachdenken wollte. „Wofür um alles in der Welt brauchst du einen derart horrenden Betrag? Und überhaupt, wo kommst du denn her, jetzt mitten in der Nacht? Kannst du mir bitte dein unglaubliches Verhalten erklären?“
Billy hatte den Kopf gesenkt und schwieg. Er sah jetzt wieder aus wie der Schuljunge, der er ja auch war.
„Es hängt damit zusammen, dass du verfrüht aus Eton nach Hause gekommen bist, nicht wahr? Hast du Wettschulden? Hat man dich deswegen der Schule verwiesen?“
Billy rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, der verletzte Arm ruhte auf der Tischplatte. Elizabeth beobachtete ihren Bruder mit Argusaugen. Anscheinend hatte sie ihn nicht ernsthaft verletzt. Gott sei Dank! Wahrscheinlich wachte er am nächsten Tag mit einem Bluterguss auf, während die Knochen ihren Schlag heil überstanden haben dürften. Wenigstens ein Grund aufzuatmen.
Billys Stimme klang trotzig, als er antwortete: „Wie oft soll ich es denn noch sagen, man hat mich nicht der Schule verwiesen. Und Spielschulden habe ich auch keine, wo denkst du denn hin? Ich habe doch bis vor Kurzem gar keine Gelegenheit gehabt, zu spielen oder zu wetten.“
Elizabeth ließ nicht locker: „Wieso bist du dann
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