Das Geheimnis von Ella und Micha: Ella und Micha 1 - Roman (German Edition)
kleine Ella May?« Er macht einen Schritt zurück, um mich anzusehen. »Du siehst anders aus.«
Verlegen fasse ich an mein Haar. »Ich habe meinen Stil ein wenig verändert. Ich dachte, ich könnte mal was Neues vertragen.«
Nachdenklich schüttelt er den Kopf. »Nein, das ist es nicht. Da ist noch etwas. Du wirkst traurig.«
»Mir geht es gut«, lüge ich nicht sonderlich überzeugend. »Ich fühle mich prima.«
Er lächelt verständnisvoll. »Du warst noch nie eine gute Lügnerin, weißt du das? Ich habe immer gewusst, dass du es warst, die die Vase kaputt gemacht hat.«
Hinter mir nickt Micha zustimmend. »Das liegt an ihren Augen. Die zeigen viel zu viel, auch wenn sie das nicht glaubt.«
»Wenn du wusstest, dass ich es war, wieso hast du nie etwas gesagt?«, frage ich.
Grady lacht und sieht Micha an. »Weil ich diese verrückte Geschichte, die du dir ausgedacht hast, rührend fand. Außerdem war es nur eine Vase.«
Alle entspannen sich, ausgenommen Lila, die aussieht, als wüsste sie nicht, wohin mit sich. Sie bleibt an der Tür, nestelt an ihrer Uhr und ihrem Haar und sieht sich in dem gemütlichen Trailer um.
»Grady, das ist Lila«, stelle ich sie vor und winke sie näher heran. »Sie war meine Mitbewohnerin am College.«
Lila tritt vor und winkt ihm verhalten zu. »Freut mich.«
»Ganz meinerseits.« Grady nickt ihr zu, bevor er mich fragend anschaut. »College also, ja? Dahin bist du geflohen.«
»Entschuldige, dass ich es dir nicht erzählt habe, als ich anrief«, sage ich. »Ich habe einfach eine Auszeit gebraucht. Von allem.«
»Ich werde nicht lügen und sagen, dass ich nicht ein wenig gekränkt war.« Er stützt sich auf seinen Stock. Seine Arme und Beine scheinen zu dünn, um sich zu bewegen. »Du bist wie eine Tochter für mich, und ich dachte, du vertraust mir genug, um zu mir zu kommen, wenn dich irgendwas quält.«
Seine Augen huschen zu Micha, und ich frage mich, ob er Grady von der Nacht auf der Brücke erzählt hat.
»Ich muss mal telefonieren.« Micha hält sein Handy hoch und geht zur Tür. »Lila, willst du vielleicht mit rauskommen?«
Lila folgt ihm mit Freuden. Dann fällt die Tür hinter ihnen zu, was den ganzen Trailer zum Vibrieren bringt.
Grady sackt auf den Sessel und seufzt vor Erleichterung. »Wir müssen reden.«
Ich mache mich auf eine Standpauke gefasst und hocke mich auf das Sofa ihm gegenüber. »Ich kriege Ärger, stimmt’s?«
»Glaubst du denn, dass du den verdient hast?« Er lehnt seinen Stock an den Couchtisch.
Ich nehme ein Kissen auf den Schoß. »Weiß ich nicht. Ich kann nicht mehr sagen, was richtig und was falsch ist, oder was oben und was unten.«
Er wippt auf dem Sessel. »Du hattest immer ein gutes Gespür für Richtig und Falsch. Es fällt dir lediglich schwer zuzugeben, dass du dich manchmal für das Falsche entschieden hast.«
»Ja, das weiß ich.« Ich zeige auf mich. »Deshalb habe ich mich in eine Ella verwandelt, die nichts Falsches macht und ihr Leben unter Kontrolle behält.«
»Nein, das hast du nicht. Du bist vor dem Leben davongerannt, und du kannst nicht alles kontrollieren, selbst wenn du es willst.« Bei seinen Worten läuft es mir eiskalt über den Rücken.
Ich zupfe an einem losen Faden am Kissenbezug. »Hat Micha dir von der Nacht erzählt, bevor ich weg bin? Hat er dir gesagt, was passiert war – was ich getan habe?«
Er presst die rissigen Lippen zusammen. »Hat er.«
»Dann verstehst du, warum ich weggelaufen bin. Wenn ich mich nicht verändere, werde ich wie sie. Ich werde genau wie meine Mutter«, gestehe ich zum ersten Mal laut, und mir fällt ein Stein vom Herzen, landet allerdings gleich wieder auf meiner Brust, und nun ist er zehnmal schwerer. »Ich verliere die Kontrolle.«
Er beugt sich vor. Sein müdes Gesicht wirkt traurig. »Du weißt, dass ich deine Mutter sehr gut gekannt habe.«
»Aber nur, weil du immer kommen und alles wieder hinbiegen musstest, nachdem sie eine ihrer Episoden hatte.«
»Kleines, du bist nicht sie. Deine Mutter war krank. Sie war geisteskrank.«
»Bipolare Störung ist erblich«, sage ich leise. »Bei mir ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich manisch-depressiv bin, höher als bei anderen, weil sie es war.«
»Was nicht bedeutet, dass du es wirst.« Er steht unsicher auf und setzt sich zu mir aufs Sofa. »Ich glaube, du hast solche Angst, wie deine Mutter zu enden, dass du verbirgst, wer du wirklich bist. Aber du kannst nicht alles kontrollieren. Das kann keiner.«
»Trotzdem kann
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