Das Geheimnis von Melody House
betete fast, sie möge wiederkommen. Sie brauchte sie: Sie stand in einem durchscheinenden Nachthemd fast auf Tuchfühlung mit einem atemberaubenden Mann, der außer einem offenen Bademantel und Boxershorts nichts am Leib trug in ihrem Schlafzimmer. Wenn sie nur einen winzigen Schritt näher an ihn heranginge, würde sie erfahren, ob sie auf ihn dieselbe Wirkung hatte wie er auf sie.
“Ich … mir passiert schon nichts”, versicherte sie ihm mit belegter Stimme.
Schweigend sah er sie an. Er hatte ganz offenbar nicht die Absicht, sie loszulassen. Im Gegenteil wirkte auch Matt versucht, diesen winzigen Schritt auf sie zu zu machen. Natürlich könnte sie ausweichen, aber sie würde es nicht tun. Und dann würde sie spüren, wie sie von seinen starken Armen zärtlich umfangen und an seinen Körper gepresst wurde. Seine Handflächen würden sich an ihr Gesicht legen, Fingerspitzen ihre Wange streicheln. Verschmelzen würde sie mit ihm, eins werden und …
Matt ließ sie los und wich einen Schritt zurück. “Ich bin nebenan. Schreien Sie einfach, wenn etwas ist.”
Darcy hatte den Eindruck, dass Matts Lächeln etwas unsicherer war als gewöhnlich.
“Ich meine es ernst, melden Sie sich, wenn Ihnen danach ist.” Sanft strich er ihr mit seinem Handrücken über das Gesicht, worauf Darcy automatisch die Augen schloss.
Und gleich darauf war er weg.
Der folgende Tag hätte nicht schlimmer werden können. Ohnehin müde, ereilte Matt gleich als Erstes ein Notruf aus einer der drei Mittelschulen des Landkreises. Ein Junge hatte seine Mitschüler mit einer Spritzpistole bedroht und leider nicht begriffen, dass das heutzutage kein Mensch mehr lustig fand. Noch vor dem Mittagessen musste sich Matt mit dem Schulpsychologen, dem Rektor, den Eltern des Jungen und diesem selbst auseinander setzen, bevor er zu einer Tankstelle auf dem Highway gerufen wurde, die überfallen worden war. Zum Glück konnten er und seine Leute den Täter überwältigen, ohne dass jemand verletzt wurde, aber an einem Tag wie diesem fragte sich Matt, warum er ausgerechnet diesen Beruf ergriffen hatte.
Sicher, er war in Stoneyville ebenso fest verwurzelt wie die uralten Eichen im Wald, und er fühlte sich seinen Mitmenschen gegenüber verantwortlich. Vielleicht war es so etwas wie seine Bestimmung, denn er kam mit aufmüpfigen Jugendlichen ebenso zurecht wie mit pistolenschwingenden Desperados.
Das Einzige, womit er nicht zurechtkam, waren die Dinge, die er nicht sehen, berühren, hören oder in einem Zweikampf niederringen konnte. Was bedeutete, dass ihn die Ereignisse der vergangenen Nacht mehr beunruhigten, als ihm lieb war.
Ebenso wie Darcy Tremayne.
Normalerweise strahlte sie eine fast königliche Gelassenheit aus, aber nach ihrer Flucht aus dem Lee-Zimmer war sie außer sich gewesen, auch wenn sie ihre Angst schnell wieder unter Kontrolle bekommen hatte. Letzte Nacht war ihm klar geworden, dass er sie nicht hier haben wollte. Er wollte, dass sie weit weg war, wo ihr nichts zustoßen konnte. Obwohl ihm ihre Entschlossenheit, ihren Auftrag zu Ende zu bringen, durchaus imponierte. Himmel, er bekam schließlich auch jedes Mal einen Schreck, wenn er in eine Pistolenmündung schaute, was ihn jedoch nicht daran hinderte, seine Pflicht zu tun.
Matt glaubte nicht an Geister. Aber das war im Moment unerheblich. Darcy hatte Todesangst verspürt. Das hatte er in ihren Augen gesehen. Und dafür musste es einen Grund geben. Die Séance konnte man noch als Kinderkram abtun, doch was den Rest betraf …
Genauso Kinderkram. Es musste einfach Kinderkram sein. Und wer an Geister glaubte, war imstande, sie allein durch die Kraft der Fantasie heraufzubeschwören. Bei Penny und der in Panik geflohenen Braut kann es so gewesen sein, überlegte Matt, aber was war mit Clara? Sie war eine bodenständige, realistische Frau.
Wie er es auch drehte und wendete, irgendetwas an der Sache gefiel ihm nicht. Womöglich war Clara tatsächlich gegen eine Tür gelaufen oder hatte sich sonst irgendwo gestoßen. Trotzdem konnte er nicht aufhören zu rätseln, ob am Ende doch irgendjemand seine Spielchen in dem Haus spielte. Er hatte das Lee-Zimmer mehrmals durchsucht, aber nie etwas gefunden. Keine Mikrofone, keine Kabel, gar nichts.
Als er merkte, dass er mit einem Stift in der Hand auf das vor ihm liegende Formular starrte, gab er sich einen Ruck und versuchte sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren. Dieser unsägliche Papierkram war der wahre Grund dafür, warum der
Weitere Kostenlose Bücher