Das Geheimnis von Mulberry Hall
plötzlich etwas scheu, und ihm wurde klar, dass sie lange nicht so souverän war, wie sie gerade vorgab.
Und tatsächlich blieb ihnen ja noch diese ganze Nacht!
Zehn Minuten später wunderte sich Lexie darüber, wie entspannt sie sich in Lucans Gegenwart fühlte. Gemeinsam saßen sie in der Küche und naschten von einer Käseplatte, die sie aus den restlichen Vorräten von Cathy Barton zusammengestellt hatten. Dazu gab es ziemlich starken Kaffee.
Lucan kam ihr nicht mehr wie ein strenger Chef vor, den sie heimlich anhimmelte, sondern eher wie ein Mann, dem sie heute noch ihre Jungfräulichkeit schenken wollte. Ein aufregend schöner Gedanke.
Und er schien regelrecht in der Rolle aufzugehen, die sie ihm zugedacht hatte. Das konnte man deutlich an seinem zufriedenen, ausgeglichenen Blick ablesen.
Er fragte sich selbst, warum die Aussicht auf diese Nacht ihn so positiv stimmte. Vielleicht lag es an Lexies wilder, pechschwarzer Mähne, die endlich einmal nicht streng zurückgekämmt war. Oder an der Selbstverständlichkeit, mit der sie hier beieinandersaßen und sich über die silberne Platte auf dem Tisch hinweg ansahen. Ein warmes Lächeln umspielte seine Lippen, wann immer er seine umwerfende Übergangs-Ersatzsekretärin anblickte.
Lexie fühlte sich in diesem Moment unendlich wohl in ihrer Haut. „Das ist wirklich gemütlich mit dir.“
„Ja, finde ich auch“, stimmte er zu.
„Wieso klingst du dabei so überrascht?“, neckte sie ihn.
Weil es für ihn tatsächlich eine angenehme Überraschung war, friedlich mit ihr an einem Tisch zu sitzen und zu essen, aber das sprach er nicht laut aus. Wenn er ganz ehrlich war, gefiel ihm alles, was er mit Lexie zusammen unternahm, auch wenn sie sich erst sehr kurze Zeit kannten.
Bisher war es ihm selten gelungen, sich in der Gegenwart einer Frau einfach mal fallen zu lassen und das Leben in seiner Einfachheit zu genießen. Und das, obwohl seine Mutter ihm ständig damit in den Ohren lag. Und ausgerechnet auf Mulberry Hall fand er zum ersten Mal diesen inneren Frieden, das war mehr als skurril.
„Du überraschst mich immer, musst du wissen“, gab er unumwunden zu. Es reizte ihn, dass er nie einschätzen konnte, was sie als Nächstes sagen oder tun würde.
„Aha.“ Sie zögerte kurz. „Bin ich eigentlich die erste Jungfrau für dich?“
Fassungslos stieß er einen erstickten Laut aus. „Ob du meine erste …? Also, jemanden wie dich habe ich auf jeden Fall noch nie getroffen.“
„Aber das ist doch gut, oder etwa nicht?“
So hätte er diese einzigartige Erfahrung sicherlich nicht beschrieben. Aber zumindest war er zu dem Entschluss gekommen, Lexie gleich morgen früh zu überreden, ihre Abreise zu verschieben.
„Es ist anders. Ungewöhnlich.“
„Gut oder schlecht ungewöhnlich?“
„Gut, denke ich“, antwortete er nachdenklich.
In ihren azurblauen Augen blitzte es auf. „Aber ganz sicher bist du dir nicht?“
„Ich bin mir wegen nichts mehr sicher, seit du in mein Leben getreten bist“, erklärte er, und seine aufrichtigen Worte verblüfften sie. „Man hat dich offenbar übersehen, als die Zurückhaltung unter den Menschen verteilt wurde.“
„Oder vielleicht habe ich mich auch einfach hinter einer Tür versteckt“, scherzte sie.
„Wahrscheinlich.“ Lucan richtete sich auf seinem Stuhl auf. „Und ja, du bist meine erste noch ‚unschuldige‘ Freundin.“
Sie legte den Kopf schief. „Und wie geht es dir damit?“
„Ich bin nervös.“
„Was?“ Es war schwer zu glauben, dass Lucan St. Claire sich von irgendetwas aus der Ruhe bringen ließ.
Normalerweise versteckte Lucan sich hinter einer kalten Fassade von Macht und Einfluss.
„Versuch mal, es von meiner Warte aus zu sehen“, schlug er vor. „Du bist ungefähr Mitte zwanzig, richtig?“
„Vierundzwanzig.“
„So. Und in deinen vierundzwanzig Jahren hast du mit Sicherheit zahlreiche Bücher gelesen und Filme gesehen, in denen Sex als wilde und wundervolle Erfahrung vermittelt wurde.“
Ein zartes Rosa überzog ihre Wangen. „Zweifelsohne.“
Lucan nickte zur Bestätigung. „Was ist, wenn die Realität nicht an das Bild heranreicht, das Filme und Bücher dir suggeriert haben?“
„Bis jetzt bin ich mehr als zufrieden.“
„Das tut meinem Ego richtig gut“, gestand er mit einem Lächeln.
„Oh nein. Dein Ego braucht meine Schmeicheleien nicht.“
Sein Lächeln breitete sich auf dem ganzen Gesicht aus. „Davon scheinst du ehrlich überzeugt zu sein.“
Und ob
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