Das Geheimnis von Summerstone - Die furchtlosen Vier
Büchern gefüllt, jedes über eine andere Phobie, angefangen bei Akarophobie bis hin zu Zemmiphobie. Beim Anblick der Bücher fühlte sich Madeleine ein wenig besser, ja geradezu erleichtert. Wenn Mrs Wellington alle diese Bücher gelesen hatte, dann musste sie ja etwas wissen.
»Sind die Bücher auch gut gesichert, falls es ein Erdbeben gibt?«, wollte Theo wissen.
»In Massachusetts haben wir keine Erdbeben.«
»Aber 1965 …«
»Stopp, stopp, stopp, mein pausbäckiger Faktensammler. Das Ereignis, das du ansprichst, war kein Erdbeben. Es war mehr wie ein Schluckauf oder ein Rülpsen, aber ganz bestimmt kein Erdbeben.«
»Und Sie haben alle diese Bücher gelesen?«, fragte Madeleine hoffnungsvoll.
»›Gelesen‹ ist ein starkes Wort. Ich sage lieber, ›überflogen‹, ›zur Kenntnis genommen‹, ›osmotisch aufgesogen‹ …«
»Osmotisch aufgesogen?«, fragte Madeleine.
»Das bedeutet, dass man Wissen durch Osmose erwirbt. Eine sehr wissenschaftliche Methode.«
Abgesehen von der Bücherwand sah der Raum sehr merkwürdig aus und hatte zahlreiche Kabinen, von denen jede einer anderen Angst gewidmet war. Es gab eine Feuer-Kabine, in der man in einem Kasten aus feuerfestem Sicherheitsglas sitzen konnte, während ringsum Flammen hochschlugen. Es gab lebensgroße Puppen, Clowns, Geschöpfe wie aus Science-Fiction-Filmen, Eimer mit Blasen werfendem Teer, Eimer mit nachgebildetem Erbrochenem, eine Kabine voller Treibsand, eine mit einem gewaltigen Ameisenhaufen, ein Aquarium voll unheimlicher Kreaturen aus dem Meer, einen Messerblock, Marionetten, eine Badewanne,
einen Sarg, ausgestopfte Tiere, Gefäße mit Hustensirup, Berge von Glasaugen, Skelette, einen Zahnarztstuhl, einen für Highschools typischen Cafeteriastuhl, Nadeln und vieles andere.
»Mrs Wellington? Ist der schon benutzt worden?«, fragte Theo und zeigte auf den Sarg.
»Benutzt? Armes, morbides Pummelchen, so etwas kann man doch nicht wie einen gebrauchten Toaster bei einem Garagenflohmarkt erwerben. Ein Sarg wird mit einem Toten in der Erde begraben. Vielleicht könnte man ihn wieder ausgraben und den Toten herausnehmen, aber ich stelle mir den Geruch trotzdem abscheulich vor.«
»Was genau werden wir hier machen?«, erkundigte sich Lulu mit wachsender Furcht, als sie diese Auswahl Angst erregender Gegenstände betrachtete.
»Heute machen wir nur einige Vorstellungsübungen.«
»Vorstellungsübungen?«, fragte Madeleine neugierig.
»Ja. Wenn ihr eure Vorstellungskraft richtig einsetzt, kann sie euch auf eine Menge Schwierigkeiten im Leben vorbereiten. Garrison soll sich vorstellen, er liege in einer gefüllten Badewanne. So kann er sich langsam an das Gefühl von Wasser gewöhnen. Lulu und Theo stellen sich vor, sie sitzen gemeinsam in einem Sarg. So lernen sie enge Räume und die eigene Sterblichkeit akzeptieren. Und du, Madeleine, du stellst dir vor, vier große, haarige, aber künstliche Spinnen krabbeln
über deinen Körper. Ich zähle bis drei, dann schließt ihr die Augen und stellt euch eure jeweiligen Schrecknisse vor.«
Jedes der vier Kinder sagte sich, es werde nichts dergleichen tun. Sie wollten lieber an alles andere denken als an das, was ihnen Mrs Wellington vorgeschrieben hatte. Aber je mehr sie sich dagegen zu wehren suchten, desto schwieriger wurde das merkwürdigerweise. Als Mrs Wellington bis drei gezählt hatte, zuckte Madeleines Körper vor Angst bei dem Gedanken an haarige Spinnenbeine auf ihrem Arm, selbst wenn sie aus Plastik waren. Lulu fühlte ein plötzliches Pochen hinter ihrem linken Auge, als sie die erstickende Enge und Dunkelheit des Sarges spürte. Garrison begann zu schwitzen, als er gegen das Bild ankämpfte, sein Körper sei von Wasser umgeben. Je mehr er schwitzte, desto realer wurde die Situation, weil seine Kleider feucht wurden.
Es zeigte sich, dass Theo seine Gedanken am besten kontrollieren konnte. Vielleicht verdankte er es seiner leicht hysterischen Persönlichkeit, dass er innerlich von einem Gegenstand zum anderen springen konnte. Zuerst erschreckte ihn der Gedanke, er sei in einem Sarg, zutiefst. Aber bald begann er, sich zu fragen, wie viel Zeit man wohl ohne Sonnenlicht auskommen konnte, ehe man Rachitis bekam. Von der Rachitis aufgrund von Lichtmangel kam er auf die Sonne der Tropen. Und plötzlich dachte er an die massenhaft
auftretenden Indonesischen Heuschrecken, deren Biss beim Menschen grippeähnliche Symptome verursachte. Theo hatte noch nachlesen wollen, ob es bei
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