Das Geheimnis von Turtle Bay
Schrank.
„Übrigens gibt es da ein paar Dinge, die ich mit dir besprechen muss“ , sagte er, während er zwei Dosen Diätlimo aus dem Kühlschrank nahm. „Erstens hat die Spurensicherung nur Fingerabdrücke von Bree und Daria in ihrem Schlafzimmer finden können.“
Amelia hielt mitten in der Bewegung inne und starrte auf das Regal gleich vor ihr, als würde die Maserung im Holz irgendein Geheimnis preisgeben. „Wie seltsam“ , flüsterte sie, „dass Daria nicht mehr ist, dass ihre Fingerabdrücke aber immer noch da sind. Es gibt so viele Dinge, die sie berührt hat …“ Sie unterbrach sich und fuhr dann fort: „Tut mir leid. Du wolltest mir noch etwas anderes erzählen.“
„Die Autopsie hat noch weitere Erkenntnisse zutage gefördert.“ Als er in diesem Moment eine der Dosen öffnete, wirkte der leise Knall wie ein Ausrufezeichen hinter seinem Satz. „Es gab irgendeinen Mann in Darias Leben, von dem Bree nichts wusste. Daria war schwanger.“
Amelia schnappte erschrocken nach Luft. Einen Moment lang hatte sie mit der Enthüllung gerechnet, man habe festgestellt, dass jemand Daria kurz vor ihrem Tod angegriffen hatte, und man könne sogar sagen, von wem sie gegen das Steuerrad gestoßen worden war. Aber das war natürlich lächerlich. Das waren die Schuldgefühle, die sie auf solche absurden Gedanken kommen ließ. Schwanger! Genau genommen bedeutete es, dass sogar zwei Menschen ums Leben gekommen waren, nämlich Daria und ihr Kind, das sie niemals kennenlernen sollte. Sie rang mit sich, damit sie Ruhe bewahrte, denn sie fürchtete, sich in die Spüle übergeben zu müssen.
„Und Bree hat keine Ahnung, wer der Vater ist?“ , fragte sie.
„Nein, und das glaube ich ihr auch. Aber sie ist momentan auf einem Kreuzzug, weil sie glaubt, der Vater des Kindes könnte auch derjenige sein, der Daria auf dem Gewissen hat.“
Amelia klammerte sich am Tresen fest, als Ben sich hinter sie stellte und die Hände auf ihre Hüften legte. „Ich habe heute für den späten Nachmittag einen Termin für dich bei einem guten Arzt vereinbart“ , flüsterte er ihr ins Ohr, als wollte er nicht, dass die Kinder ihn hörten, obwohl die noch gar nicht von der Schule zurückgekommen waren. „Er ist eine Art Familientherapeut.“
„Also ein Psychiater, ein Seelenklempner“ , erwiderte sie und blieb stocksteif stehen. „Wie nett, dass du nur mit den Fingern schnipsen musst, und schon hat ein Doktor einen Termin für mich frei.“
„Honey, ich habe ihn gebeten, sich für dich Zeit zu nehmen. Der Termin ist zwar etwas später am Tag, aber ich kann dich beim ersten Mal begleiten. Er ist jemand, mit dem du ganz im Vertrauen reden kannst. Praktisch wie ein Anwalt.“
Sie nickte knapp und versuchte, alles zu verarbeiten, was er ihr gesagt hatte. Bree lag womöglich richtig mit ihrer Vermutung, jemand habe Daria zum Schweigen bringen wollen. Jemand außer der eigenen großen Schwester, die das nur wollte, weil Daria ihr so grausame Dinge an den Kopf geworfen hatte. Ein Mann hätte dagegen ein Motiv, Daria aus dem Weg zu räumen. Aber letztlich war sie doch ertrunken.
„Du nimmst das viel gefasster auf als erwartet“ , sagte Ben ein wenig skeptisch. „Viel besser als Bree.“
Wieder nickte sie. Es war gut, wenn Ben glaubte, dass sie gefasst war, und das sollte der Therapeut auch glauben. Sie beabsichtigte nicht, irgendwem davon zu erzählen, dass sie heute Vormittag Bens Pistole aus der Schublade genommen und sie lange Zeit angestarrt hatte, bis sie hörte, wie das Garagentor aufging. Oder dass sie verzweifelt genug gewesen war, um ein Boot zu mieten, das sie kaum zu steuern wusste, und hinaus aufs Meer zu fahren, damit sie ihren Streit mit Daria fortsetzen konnte, weil die an jenem Tag nicht tauchen wollte.
Für Bree war ein Besuch in Sams Geschäft immer wie eine Reise in die Vergangenheit. Alles sah hier noch genauso aus wie damals, als sie mit Ted zusammen war. Sie hatten beide als Jugendliche hier gearbeitet, und nachdem seine Mutter weggelaufen war und sein Dad sich von ihr scheiden ließ, hatte Ted eine Weile mit ihm in den Räumen über dem Geschäft gelebt. Soweit Bree das erkennen konnte, führte der Weg zu den privaten Zimmern im ersten Stock immer noch über die Außentreppe, auf der sie und Ted sich oft nach oben geschlichen hatten.
Doch ein paar Dinge hatten sich mit der Zeit geändert. Ein neuer Angestellter nahm Anrufe entgegen und arbeitete am Computer, eines von Sams wenigen Zugeständnissen an
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