Das Geheimnis von Turtle Bay
Wetter nicht mehr reicht. So. Du wolltest die Fakten, da hast du sie. Es war auch so schlimm genug, das musste nicht noch künstlich in die Länge gezogen werden.“
„Ich will von dir die ganze Wahrheit wissen!“
„Hör zu“ , ermahnte er sie mit lauter Stimme und ausgestrecktem Zeigefinger, bevor er leiser weiterredete. „Ich will zuallererst Amelia beschützen, und gleich danach dich.“
„Amelia kannst du gern beschützen, aber du hast kein Recht, für mich oder für Daria irgendwelche Entscheidungen zu treffen. Selbstverständlich hat das alles rein gar nichts damit zu tun, dass du deinen eigenen Ruf schützen möchtest, und erst recht gibt es keinen Zusammenhang zu deiner Wiederwahl, die du in nicht mal zwei Monaten erleben möchtest.“
„Dieser Gedanke ist mir nie gekommen.“
„Sagen wir der Einfachheit halber, dass ich dir das zum Teil glaube. Aber ich will den Autopsiebericht sehen. Hast du ein Exemplar hier?“
„Nein.“
„Dann werde ich morgen früh als Erstes zur Collier County Rechtsmedizin gehen und mir den Bericht dort aushändigen lassen. Anschließend tauche ich zum Frachterwrack und …“
„Verdammt, jetzt hör schon auf!“ , fauchte er, ging um den Sessel herum und sank hinein. Erschrocken bemerkte Bree, wie fahl und hager Ben mit einem Mal aussah. Es schien, als sei ihm alle Energie und sein Kampfgeist geraubt worden. „Du willst es nicht anders, dann setz dich da hin und mach dich auf etwas gefasst. Aber schwör mir, Amelia nichts davon zu sagen. Sie hat das Ganze schon mehr als genug mitgenommen. Zum einen die Trauer um alles, was sie über die Jahre hinweg verloren hat, und nun auch noch Daria.“
Bree setzte sich auf die äußerste Kante des kleineren Sessels ihm gegenüber und legte die Hände gefaltet in den Schoß, während sie voller Unruhe wartete, was er zu sagen hatte.
„Die Autopsie ergab, dass Daria in der neunten Woche schwanger war.“
Erdrückende Stille legte sich über den Raum. Bree hörte ihr Herz schlagen und glaubte zu fühlen, wie das Blut durch ihre Adern strömte. Ihr Kopf war wie leergefegt. Im ersten Moment schienen seine Worte von ihr abzuprallen, als hätte er sie in einer fremden Sprache gesprochen. Sie rührte sich nicht, sie atmete nicht mal. Zu ihrer Verwunderung war ihr erster klarer Gedanke, dass sie nun endlich wusste, warum Daria in den letzten Wochen nicht mehr hatte tauchen wollen. Und warum sie bei ihrem letzten gemeinsamen Tag auf See Zahnschmerzen vorgeschoben hatte. Daria wusste von ihrer Schwangerschaft und wollte den Fötus nicht dem Wasserdruck aussetzen!
Bree wollte laut schreien, doch zu ihrer Verwunderung fragte sie Ben mit ruhiger Stimme, die nicht ihre eigene zu sein schien: „Kann man mit einem DNS-Test den Vater identifizieren?“
„Mit einem DNS-Test am Fötus kann man den Vater bestimmen, sofern von dem ebenfalls DNS-Material zur Verfügung steht. Aber ich wollte sie dafür nicht aufschneiden lassen. Und es wäre verrückt und grausam, jetzt noch den Leichnam exhumieren zu lassen.“
Eigentlich wollte sie ihm vorhalten, dass er selbst auf eine rasche Autopsie und Beisetzung gedrängt hatte, stattdessen aber sagte sie: „Wir könnten ihrem Mörder auf die Spur kommen.“
„Bree, hör auf damit! Das würde am nächsten Morgen in allen Zeitungen stehen und Spekulationen auslösen. Ich … ich nehme an, du wusstest davon gar nichts, oder?“
„Natürlich nicht! Weder von der Schwangerschaft noch vom möglichen Vater. Aber warum sollte ich so was auch wissen? Ich habe mit ihr nur die Wohnung geteilt, und sie war lediglich meine Zwillingsschwester. Sie war meine beste Freundin, und niemand kannte sie besser als ich – jedenfalls habe ich das immer geglaubt.“
Am liebsten hätte sie ihm von dem Überfall am Gator Watering Hole erzählt, aber sie traute Ben immer weniger. Auch wenn er die Spurensicherung in ihrer Wohnung veranlasst hatte, war sie von ihm nicht dazu angehalten worden, den Einbruch bei der Polizei zu melden. Und nun würde das Ergebnis der Fingerabdrücke auch noch zuerst auf seinem Schreibtisch landen. Er hatte behauptet, es gehe ihm nicht darum, seinen eigenen Ruf zu schützen, und doch war ihm eben rausgerutscht, er wolle Spekulationen vermeiden. Ihm musste klar gewesen sein, dass das ungeborene Baby ein Mordmotiv darstellte, abhängig davon, was der Mörder zu verheimlichen hatte. Verdammt, Ben war Staatsanwalt! Und ausgerechnet er versuchte, den Fall unter den Tisch zu kehren und zu mauern.
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