Das Geheimnis von Winterset
dein Leben Acht zu geben."
Kit erwiderte ihr Lächeln resigniert. „Nun gut, ich verspreche es dir."
Er reichte ihr seine Hand, und Anna drückte sie leicht.
Tatsächlich wusste sie nur zu gut, dass sie ihr Herz ganz erheblich in Gefahr brachte. Aber sie konnte es einfach nicht ertragen, Reed nie mehr zu sehen. Auch wenn sie jedes Mal, da sie ihn anschaute, ein im Innersten schmerzliches Verlangen spürte und sich zutiefst danach sehnte, ihr ganzes Leben mit ihm zu verbringen, was - wie sie wusste - unmöglich war, so würde sie diesem Schmerz doch niemals das Vergnügen opfern wollen, in Reeds Nähe sein zu können, ihn anzusehen, mit ihm zu reden und einfach nur mit ihm zusammen zu sein. Manchmal beschlich sie der leise Verdacht, dass es wenig vernünftig war, diesem Bedürfnis nachzugeben, im Moment war ihr hingegen nicht danach, ihr Tun zu hinterfragen.
Bereits am Abend ging es Kit besser, und am nächsten Tag bestand er schon darauf, sich erneut an die Arbeit zu machen. Und so nahm auch Anna ihre Nachforschungen wieder auf. Sie und Reed ritten gemeinsam nach Eddlesburrow, wo die Aufzeichnungen der gerichtlichen Untersuchung verwahrt wurden. Zunächst jedoch wollten sie dem ehemaligen Hausmädchen einen Besuch abstatten, deren Adresse Reed mithilfe Mr. Nortons herausgefunden hatte.
Ihr Name war Margaret Lackey, und sie lebte in einem kleinen Steinhaus am Rand der Ortschaft. Über einige Stufen gelangte man auf einen schmalen Pfad, der durch einen sorgsam gepflegten Garten bis zur Vordertür des Hauses führte.
Als Reed und Anna näher kamen, sahen sie eine Frau in einem der Blumenbeete knien und eifrig Unkraut jäten.
Eine Haube mit breiter Krempe schützte sie vor der Sonne und verbarg ihr Gesicht, doch als sie den leichten Hufschlag hinter sich vernahm, drehte sie sich neugierig um. Anna und Reed stiegen ab und banden ihre Pferde an.
Die alte Frau hatte ein ganz runzeliges Gesicht, blickte ihnen aber mit wachen, schwarzen Knopfaugen lächelnd entgegen.
„Guten Tag, Madam", grüßte Reed, nahm mit einer schwungvollen Geste seinen Hut ab und verbeugte sich höflich.
„Wir suchen eine Miss Margaret Lackey."
„Die haben Sie soeben gefunden", erwiderte die alte Frau fröhlich. „Nur dass ich seit nunmehr vierzig Jahren Margaret Parmer heiße." Sie schaute Anna und Reed erwartungsvoll an.
„Mrs. Parmer", berichtigte sich Reed und stellte dann Anna und sich selbst vor. „Wenn Sie gestatten, würden wir uns gerne ein wenig mit Ihnen unterhalten."
Die alte Frau streifte rasch ihre Handschuhe ab und reichte ihm die Hand. „Wenn Sie mir bitte auf die Beine helfen würden, dann könnten wir hineingehen und in Ruhe miteinander reden."
Reed nahm ihre Hand und half Mrs. Parmer auf. Sie strich sich die Erde von ihrem Rock und führte sie ins Haus.
Das Haus war klein, aber sehr ansprechend eingerichtet, wie sie im Wohnzimmer überrascht feststellten. Mrs.
Parmer rief nach jemandem, und kurz darauf erschien eine Frau in mittleren Jahren, die sich die Hände an einem Küchentuch abwischte.
„Den Tee, Gert!", sagte Mrs. Parmer ebenso fröhlich, wie sie Reed und Anna begrüßt hatte. „Für drei, und geben Sie uns auch noch ein paar von den Keksen dazu, die Sie gestern gebacken haben." Nachdem Gert wieder gegangen war, wandte Mrs. Parmer sich lächelnd Reed und Anna zu. „Gert geht mir ein bisschen zur Hand, seit ich meinen Haushalt nicht mehr selber führen kann", erklärte sie und zeigte ihre Finger, deren Gelenke verwachsen und geschwollen waren.
Sie nahm ihre Gartenhaube ab, unter der ihr weißes Haar zum Vorschein kam, das sie zu einem Knoten aufgesteckt trug. Einzelne Strähnen hatten sich gelöst, die sie sich rasch zurückstrich, während sie sich in einen der Sessel setzte.
Das ehemalige Zimmermädchen war genau das Gegenteil der alten Haushälterin, die Reed und Anna vor einigen Tagen besucht hatten. Obwohl Mrs. Parmers Hände von der Gicht geplagt und ihre Bewegungen langsam und bedächtig waren, so machte sie doch einen rüstigen und hellwachen Eindruck. Ihre klugen dunklen Augen leuchteten vor Neugierde, als sie ihre beiden Besucher anblickte und darauf wartete, den Grund ihres Kommens zu erfahren.
„Mrs. Parmer, ich lebe auf Winterset", begann Reed.
Ihre Augen weiteten sich kaum merklich, sie unterbrach ihn allerdings nicht.
„In den alten Haushaltsbüchern haben wir gelesen, dass Sie dort als Hausmädchen gearbeitet haben."
„Ja, das habe ich", bestätigte sie. „Das war, bevor
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