Das Geheimnis von Winterset
Bruder spürte, dass sie bei ihm war, dachte sie und nahm Kits Hand. Jetzt konnte sie nur warten.
„Anna?" Als Kits schlaftrunkene Stimme sie weckte, hob Anna ein wenig verwirrt den Kopf.
„Oh... " Langsam kam sie zu sich und stellte fest, dass sie eingeschlafen sein musste. Mittlerweile war es Morgen, die Sonne drang hell hinter dem Vorhang hervor. Urplötzlich wurde Anna gewahr, dass ihr Bruder sie ansah. „Kit, du bist wach!"
Erfreut sprang sie auf und hatte sogleich vergessen, dass ihr Hals und ihre Schultern schmerzten, weil sie recht unbequem mit dem Kopf auf Kits Bett geschlafen hatte.
„Natürlich bin ich wach", erwiderte Kit verständnislos. Seine Stimme klang ein wenig undeutlich, und seine Worte kamen etwas schleppend. „Was ist passiert? Weshalb bist du hier?"
„Erinnerst du dich nicht?", fragte Anna.
„Woran soll ich mich denn erinnern?", wollte Kit wissen. Er runzelte besorgt die Stirn und fasste sich mit der Hand an die Stirn. „Ich habe höllische Kopfschmerzen. Habe ich ... war ich womöglich betrunken?"
Anna musste lächeln. „Nein. Zumindest glaube ich das nicht. Dr. Felton hat mir versichert, dass du nur ein paar Glas Whisky getrunken hast."
„Warum hast du mit dem Doktor gesprochen?" Kit schien jetzt noch verwirrter. „War er hier? Aber gestern ... war gestern nicht der Abend, an dem wir immer Karten spielen?"
„Ja, natürlich. Weißt du wirklich nichts mehr?"
Kit schloss für einen Moment die Augen, dann sah er Anna wieder an und meinte: „Ich erinnere mich nur noch daran, dass Mrs. Bennett und Felicity uns gestern besucht haben."
„Du hast einen recht heftigen Schlag auf den Kopf bekommen", klärte Anna ihren Bruder auf. „Wir haben dich bewusstlos auf dem Weg bei der Landstraße gefunden."
Kit sah sie ungläubig an. „Das ist nicht dein Ernst."
„Doch, leider."
„Aber wie ... ich bin ganz sicher nicht vom Pferd gefallen!", bemerkte er ein wenig ungnädig. „Das passiert mir nicht einmal, wenn ich betrunken bin."
„Vermutlich bist du überfallen worden. Es wäre wirklich
gut, wenn du dich an die Ereignisse erinnern könntest."
„Überfallen!" Kit fand die Vorstellung ganz offensichtlich lächerlich, weshalb Anna ihm alles erzählte, was sie wusste. Dennoch wollte ihr Bruder nicht glauben, dass irgendjemand ihm etwas zuleide tun wollte.
„Ich denke, dass der Doktor recht hat. Wahrscheinlich habe ich mich wirklich an einem niedrig hängenden Ast verfangen und bin gestürzt."
„Und wie erklärst du dir dann die dunkle Gestalt, die ich gesehen habe, als sie sich über dich beugte?", wollte Anna wissen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihren Bruder herausfordernd an.
„Nun ... meintest du nicht gerade, dass es stockfinster gewesen sei?"
„Aber nicht so dunkel, dass ich mir etwas eingebildet hätte, was gar nicht da war! Außerdem hat Cooper es auch gesehen."
Darauf wusste Kit keine Antwort, obwohl sie an seiner Miene ablesen konnte, dass er ihr nicht wirklich glauben wollte.
„Aber wer könnte denn ... warum sollte jemand so etwas tun?", fragte er schließlich.
„Das weiß ich nicht, denn ich kann die Gedanken dieser Person ja nicht lesen. Aber du musst mir versprechen, Kit, dass du vorsichtig sein wirst - selbst wenn du nicht glauben magst, dass jemand dir etwas antun könnte", bat Anna ihn eindringlich. „Du musst auf dich Acht geben und solltest keine Risiken eingehen."
„Was schlägst du vor?", wollte Kit wissen und lächelte ein wenig spöttisch. „Soll ich mich hier im Haus verkriechen? Ich muss mich um das Anwesen kümmern und kann die Arbeit nicht auf unbestimmte Zeit ruhen lassen."
„Ich weiß. Und ich kenne auch deinen Stolz", bemerkte Anna trocken. „Deshalb will ich gar nicht erst versuchen, dich im Haus zu halten. Aber ich möchte, dass du dir zumindest heute noch Ruhe gönnst und die Medizin nimmst, die Dr. Felton dagelassen hat. Sie wird deine Kopfschmerzen lindern."
„Dazu bin ich gerne bereit", stimmte Kit sogleich zu. „Ich fühle mich, als hätte mir jemand mit dem Hammer auf den Kopf geschlagen."
Anna ging zum Tisch hinüber und öffnete das Päckchen, das der Arzt ihr gegeben hatte. Sie schüttete ein wenig von dem Pulver in ein Glas Wasser, rührte um und wandte sich dabei wieder ihrem Bruder zu. „Ich denke nicht, dass unser unbekannter Angreifer versuchen wird, sich dir tagsüber zu nähern, da er es bislang immer vorgezogen hat, nachts sein Unwesen zu treiben. Versuche bitte trotzdem, dich nach
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