Das Geheimnis von Winterset
einen Mord handelt", erwiderte Dr. Felton.
„Ich vermute, dass dies das Werk eines Menschen war."
Anna erblasste nun vollends und stieß entsetzt hervor: „Mit Krallen?" Sie schaute Kit an, der unmerklich den Kopf schüttelte. Dann wandte sie sich wieder an den Arzt und fügte hinzu: „Ein Mensch hat doch keine ... "
„Nein, keine Krallen. Wahrscheinlich nur etwas, das dem ähnelt ... vielleicht ein Gartengerät. Ich erinnere mich, dass es so etwas gibt - leider fällt mir der Name nicht ein - aber es sieht aus wie eine kleine Harke, ist nicht einmal einen Fuß lang und hat kleine, nach unten gebogene Zinken."
„Ich weiß, was Sie meinen", fiel Anna ein. „Es ist ein Kultivator, mit dem man den Boden auflockert, bevor man etwas pflanzt. Aber ja, eine durchaus naheliegende Vermutung!"
„Leider kann ich mich des Einfalls nicht selber rühmen - mein Vater ist darauf gekommen", bemerkte Dr. Felton.
Kit und Anna sahen den Arzt einen Moment lang verwirrt an, doch dann sagte Kit: „Oh, die Morde vor fünfzig Jahren ... natürlich."
„Die Morde vor fünfzig Jahren?", hakte Reed nach. „Bereits gestern hatte ich mich gefragt, was es damit auf sich hatte. Gibt es eine Ähnlichkeit zu dem Mord an Estelle?"
Kit nickte. „Am besten fragen Sie Dr. Felton. Er ist unser Experte für die Bestie von Craydon Tor."
Reed sah den Arzt überrascht an, der allenfalls zehn Jahre älter war als er selbst. „Sie können doch unmöglich damals dabei gewesen sein ... "
Dr. Felton lächelte. „Nein, aber mein Vater. Er war noch jung und hatte seine Stelle als Landarzt gerade erst angetreten, als die Morde geschahen. Ich bin erst einige Jahre danach zur Welt gekommen, mein Vater hat jedoch alle Fälle aus seiner Praxis dokumentiert - einschließlich der beiden Morde. Als er vor wenigen Jahren starb, hinterließ er mir seine Notizbücher." Der Doktor zuckte verlegen mit den Schultern. „Seit meiner Kindheit hat mich die Legende über die Bestie von Craydon Tor fasziniert. Als ich klein war, glaubte ich natürlich, dass es sich um ein Ungeheuer handelte, halb Mensch, halb Tier, das von einer Hexe zu ewigem Leben verdammt worden war. Die beiden Morde sind mittlerweile fester Bestandteil der Legende. Ich habe alles gesammelt, was ich über die Bestie geschrieben fand, und vor einigen Jahren hat mir auch noch eine meiner älteren Patientinnen einen Karton mit Zeitungsberichten aus jener Zeit vermacht."
„Ah ... Sie haben tatsächlich eine einschlägige Bibliothek zu dem Thema."
„Das könnte man so sagen."
Reed betrachtete ihn nachdenklich. „Ich wäre sehr daran interessiert, einige dieser Artikel zu lesen."
Felton schien überrascht zu sein, stimmte aber höflich zu: „Wenn Sie wünschen, können Sie das natürlich gerne tun."
„Danke, ich werde darauf zurückkommen. Meine Schwester, mein Schwager und ich haben gestern Abend bereits einige Vermutungen zu den Morden angestellt."
„Ja, ich kann mir denken, dass die Nachricht auf der Feier für erhebliche Unruhe gesorgt hat", bemerkte Dr. Felton.
„Oh ja. Nachdem Sie gegangen waren, hat niemand mehr über etwas anderes geredet", versicherte ihm Anna. „Und wie Sie sich denken können, brachen die meisten Gäste wenig später auf."
„Wenn Sie mir die Frage gestatten, wüsste ich gerne, was bei den Morden vor fünfzig Jahren genau geschehen ist", wandte Reed sich erneut an den Doktor. „Was wir gestern Abend von verschiedener Seite gehört haben, klang doch sehr ... nun ja, abenteuerlich."
„Womit Sie eigentlich sagen wollen, dass wir lediglich eine Menge haarsträubender Geschichten über die Bestie gehört haben", stellte Anna klar. „Manche Leute retten sich scheinbar gern in ihren Aberglauben."
„Es hat mich ziemlich überrascht, dass die Frau des Pfarrers so inbrünstig an die Legende glaubt", gestand Kit.
„Ich finde es gar nicht so ungewöhnlich, dass Leute, die an Gott glauben, auch für derlei Dinge empfänglich sind", bemerkte Reed trocken. „Und", fügte er hinzu, „gerechterweise sollte ich bekennen, dass auch ich bereits Erfahrungen gemacht habe, die meine Bedenken gegen alles Magische und Sagenhafte grundlegend erschüttert haben."
„Nun, an den Morden vor achtundvierzig Jahren war ja auch nichts Magisches oder Sagenhaftes", wandte Martin Felton ein. „Das könnte man zwar meinen, wenn man den Zeitungsartikeln von damals glaubt, doch sobald Sie die Zeichnungen im Notizbuch meines Vaters gesehen und seinen Bericht dazu gelesen haben,
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