Das Geheimnis von Winterset
dass es zwischen den beiden Vorfällen einen Zusammenhang gibt?"
„Nein, oder ... ich weiß es nicht. Zunächst habe ich keine Verbindung gesehen, aber die schweren Verletzungen des Hundes beunruhigten mich sehr. Und als ich dann nach Hause kam, erfuhr ich, dass Estelle vermisst wurde. Rein rational habe ich zu diesem Zeitpunkt noch keinen Zusammenhang gesehen, mein ungutes Gefühl übertrug sich aber sofort auf das Verschwinden Estelles."
„Zu diesem Zeitpunkt?", wiederholte Reed fragend. „Denken Sie denn immer noch, dass beide Dinge etwas miteinander zu tun haben?"
„Ich bin mir nicht sicher. Aber als der Arzt die Spuren auf ... auf Estelles Körper beschrieb, fühlte ich mich sogleich an die Wunden des Hundes erinnert. Damals dachte ich noch, dass er vielleicht in einen Kampf mit einem größeren Hund geraten war, aber die Krallen standen viel zu weit auseinander für eine Hundepfote. Als Dr. Felton heute in Estelles Fall darauf hinwies, wurde mir die Ähnlichkeit zwischen beiden Ereignissen bewusst." Sie schüttelte bekümmert den Kopf. „Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein."
„Es könnte doch durchaus sein, dass der Mörder Ihres Dienstmädchens auch den Hund verletzt hat." Er betrachtete sie nachdenklich und fügte dann hinzu: „Mir ist aufgefallen, wie Sie und Ihr Bruder sich angesehen haben, als der Doktor anfing, von den Krallenspuren zu berichten."
Erschrocken blickte Anna ihn an, und das Herz schlug ihr auf einmal bis zum Hals. „Wie bitte? Ich ... ich kann mich nicht daran erinnern, dass Kit und ich uns auf besondere Weise angeschaut hätten."
„Doch, das haben Sie. Und ich habe mich gefragt, ob Sie der Art der Verletzung vielleicht eine besondere Bedeutung beimessen."
Reglos stand sie da und sah Reed mit ausdrucksloser Miene an. „Was genau wollen Sie denn damit sagen?
Glauben Sie vielleicht, ich wüsste etwas über die Morde, das Sie nicht wissen?"
„Nein, natürlich nicht", beschwichtigte er sie schnell. „Verzeihen Sie mir meine unüberlegten Worte, in Ihrer Gegenwart scheine ich immer das Falsche zu sagen. Ich meinte doch nur, dass Sie diesem Detail des Falls besondere Aufmerksamkeit schenkten - so, als käme Ihnen etwas daran bekannt vor ... "
„Aber das ist ja lächerlich!", rief Anna empört. „Wahrscheinlich habe ich Kit in diesem Augenblick angesehen, weil ich weiß, wie sehr er diese Legenden von der Bestie verabscheut. Es missfällt ihm, dass die Leute hier in der Gegend solche dummen Geschichten über Generationen weitertragen."
„Ich verstehe." Er betrachtete sie aufmerksam. Sie erwiderte seinen Blick offen und herausfordernd, bis er beiseite sah. „Anna, ich hoffe, Sie passen gut auf sich auf. Ich weiß, dass Sie schon immer gerne spazieren gegangen sind, nur ... im Moment erscheint es mir nicht ungefährlich, und es wäre mir lieb, wenn Sie nur noch in Begleitung ausgingen."
Fassungslos sah sie ihn an. „Was hat das denn mit mir zu tun? Wahrscheinlich war Estelles Verehrer der Täter.
Und es gibt in dieser Gegend auch kein wildes Tier, das nach seinem nächsten Opfer Ausschau hielte. Der Mord ist nicht einmal im Wald oder in der Nähe unseres Hauses geschehen - Estelle wurde draußen bei Hutchins' Hof gefunden!"
„Ich weiß. Trotzdem sollten Sie kein Risiko eingehen, denn der Preis dafür könnte zu hoch sein. Es ist doch bestimmt kein Umstand, wenn Sie auf Ihren Ausritten einen Stallburschen mitnehmen, oder wenn ihre Kammerzofe mit Ihnen gemeinsam spazieren geht ... "
„Das sagt sich so einfach, aber Sie sind es ja auch nicht, dem auf Schritt und Tritt jemand folgt", erwiderte sie aufgebracht. „Ich gehe spazieren, weil ich allein sein will... weil ich in Ruhe nachdenken und mich an der Natur erfreuen möchte."
Vielleicht lag es daran, dass ihre Mutter früh gestorben war und Anna bereits in jungen Jahren die Führung des Haushalts übernommen hatte, oder daran, dass ihr Vater sehr nachsichtig gewesen war - auf jeden Fall hatte sie seit jeher ihre ausgedehnten Spaziergänge allein machen dürfen. Und sie wusste diese Freiheit zu schätzen, denn sie hatte erlebt, wie ihre beste Freundin Miranda aus Gründen des Anstands nur in Begleitung das Haus verlassen durfte. Die bloße Vorstellung, dass jemand sich anmaßen konnte, ihr diese Freiheit zu nehmen, brachte sie in Rage
- und dass es Reed war, der glaubte, ihr Vorschriften machen zu können, war noch schlimmer!
„Nach allem, was Sie mir über Ihre Mutter erzählt haben und darüber, wie
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