Das Geheimnis von Winterset
Sie aufgewachsen sind, kann ich es kaum fassen, dass Sie nun auf einmal ..."
„Himmel noch mal! Hier geht es um mehr als den guten Anstand", meinte er ungehalten. „Es geht um Ihre Sicherheit."
„Das ist doch lächerlich. Es gibt keinerlei Grund, zu glauben, dass ich in Gefahr sein könnte", sagte Anna entschieden. „Wollen Sie selbst etwa nur noch bewaffnet aus dem Haus gehen oder auch immer einen Dienstboten mitnehmen?"
„Nein, natürlich nicht. Ich kann auf mich allein aufpassen."
„Und wenn Sie einem Mann mit einer Pistole begegnen?", fragte Anna spitz. „Der Umstand, dass Sie ein Mann sind, würde Ihnen dann auch nicht mehr helfen."
„Es ist wenig wahrscheinlich, dass ich hier einem bewaffneten Mann begegnen werde."
„Genauso unwahrscheinlich ist es, dass ich einem Mörder begegne."
„Ich will doch nur, dass Sie in Sicherheit sind!" Seine Verärgerung war ihm anzuhören.
„Das ist nicht Ihre Angelegenheit!", rief sie. „Wir haben nichts mehr miteinander zu tun!"
Er hob ein wenig sein Kinn, als hätte Anna ihn mit ihren Worten geschlagen, und in seinen Augen blitzte kurz ein verletzter Ausdruck auf, bevor sein Blick kalt und leer wurde. „Sie müssen mich nicht daran erinnern", erwiderte er kurz angebunden. „Und dass es mir nicht ansteht, sie zu beschützen, haben Sie ja gerade recht deutlich gemacht.
Wie konnte ich nur so dumm sein, mir überhaupt Sorgen um Sie zu machen."
Anna war nicht entgangen, wie sehr ihre Worte Reed verletzt hatten und wie sehr er sich nun bemühte, dies zu verbergen. Plötzlich bedauerte sie ihre heftigen Worte. „Reed ..." Sie ging auf ihn zu und streckte unwillkürlich die Hand nach ihm aus. „Es tut mir leid."
Er trat einen Schritt zurück. „Nein. Entschuldigen Sie sich nicht. Ich habe mir zweifellos etwas angemaßt, was mir nicht zustand."
„Ich wollte Sie nicht verletzen", fuhr Anna leise fort.
„Glücklicherweise liebe ich Sie nicht mehr, und daher haben mich Ihre Worte auch nicht verletzt", ließ er sie wissen, und seine unbewegte Miene schien dies zu bestätigen. „Ich habe Sie nicht deshalb gebeten, vorsichtig zu sein, weil ich glaubte, irgendeinen Anspruch auf Sie zu haben, sondern weil ich mir um jede junge Frau Sorgen machen würde, die Gefahr liefe, einem Mörder zu begegnen. Wenn meine Besorgnis Sie beleidigt hat, so möchte ich mich dafür entschuldigen."
„Nein, Reed, es ... " Anna hielt inne und sah beiseite. Es war albern von ihr, sagte sie sich, dass sie derart zurückweisend reagiert hatte. Schließlich war doch wirklich nichts zwischen ihnen ... das hatte sie Reed gerade selbst gesagt. Und nun fühlte sie sich durch seine harten Worte verletzt, was natürlich ebenso albern war. Natürlich liebte er sie nicht. Es waren drei Jahre vergangen, und sie wollte überhaupt nicht, dass er sie noch liebte. Am besten würde es sein, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
„Ich werde nun gehen", fuhr Reed fort. „Richten Sie Ihrem Bruder bitte meine besten Wünsche aus."
„Natürlich."
Reglos blieb sie stehen, und das Herz wurde ihr schwer, als er an ihr vorbei durch den Salon ging.
An der Tür blieb er noch einmal stehen, drehte sich zu Anna um und holte zu einem letzten Schlag aus. „Ich hatte übrigens nicht den Eindruck, dass Sie meinten, es ,sei nichts mehr zwischen uns', als ich Sie gestern Abend in meinen Armen gehalten habe."
Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging zur Tür hinaus. Anna ließ sich in einen Sessel sinken, denn auf einmal zitterte sie so sehr, dass sie glaubte, ihre Knie würden unter ihr nachgeben. Nachdenklich verschränkte sie die Hände im Schoß. Es beschämte sie, daran zu denken, wie bereitwillig sie gestern Abend ihrer Leidenschaft nachgegeben hatte. Wahrscheinlich konnte sie es Reed nicht verübeln, dass er sie nun für eine leichtfertige Person hielt - behauptete sie doch, nichts für ihn zu empfinden, nur um sich ihm danach an den Hals zu werfen!
Sie saß immer noch so da, als Kit einige Zeit später wieder in den Salon schlenderte. „Ich habe Lord Moreland gehen sehen", sagte er. „Oh, Anna ... "
Eiligen Schrittes kam er auf sie zu und hockte sich neben ihren Sessel. „Mach dir keine Sorgen. Ich weiß, woran du dachtest, als Dr. Felton von den Krallen erzählte. Aber ich bin mir sicher, dass du dich irrst."
„Tue ich das?" Anna sah ihren Bruder fragend an. Sie schaute zum Fenster des Salons hinaus auf die steile Anhöhe von Craydon Tor. „Er kann so etwas nicht getan haben. Ganz sicher
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