Das Geheimnis von Winterset
Miene nur leichter Enttäuschung aufzusetzen und zu sagen: „Ich ... das ist aber schade."
„Eigentlich verhalte ich mich nie so feige", ließ Kyria sie wissen. „Ich muss indes an die kleine Emily und an die Zwillinge denken, und natürlich auch an Rosemary. Es ... nun, es scheint mir einfach zu gefährlich, mit ihnen hierzubleiben - jetzt, wo jemand scheinbar willkürlich Menschen umbringt..."
„Natürlich. Sie können weder die Kinder noch Miss Farrington einer solchen Gefahr aussetzen", stimmte Anna ihr zu. „Das verstehe ich vollkommen. Dennoch bedaure ich sehr, dass Sie schon wieder abreisen."
„Sie werden mir auch fehlen. Die Zwillinge haben natürlich überhaupt keine Lust zurückzufahren und versuchen nun, uns davon zu überzeugen, dass sie hierbleiben und die Morde aufklären müssen. Aber ihre Bitten sind recht halbherzig, denn gestern den toten Mann zu finden hat ihnen mehr zugesetzt, als sie eingestehen wollen."
„Das kann ich mir vorstellen. Es tut mir so leid, dass es passierte, während sie mit mir unterwegs waren."
„Das konnten Sie doch nicht wissen", beschwichtigte Kyria sie. „Ich bin froh, dass die beiden mit Ihnen zusammen waren und nicht ganz alleine den grausigen Fund gemacht haben." Sie beugte sich vor und nahm Annas Hand. „Ich wünsche mir sehr, dass dies nicht das Ende unserer Freundschaft ist. Warum besuchen Sie und Ihr Bruder uns nicht in London? Das wäre wunderbar. Wir könnten dort so viel unternehmen! Die Saison ist in vollem Gange, und ich würde Ihnen wirklich gerne alles zeigen. Ich werde meine Mutter bitten, dass Sie Ihnen eine Einladung schickt. Sie werden unsere Mutter bestimmt mögen. Und Broughton House ist riesig - viel zu groß nur für unsere Familie."
Annas Wangen röteten sich ein wenig vor Freude. Sie mochte Kyria und war sich sicher, dass - wenn nur die Dinge anders stünden - sie beide beste Freundinnen hätten werden können. Aber das war natürlich unmöglich. Sie konnte nicht einen Besuch im Stadthaus des Dukes machen und mit Reed unter einem Dach wohnen. Das wäre eine vollkommen unerträgliche Situation! Nein, ganz gleich, wie leer und sinnlos ihr die kommenden Tage auch vorkommen würden, so war es doch das Beste, dass Reed und Kyria und all die anderen morgen zurückfuhren. Auf lange Sicht gesehen würde das Annas Herzen viel weniger Schmerz zufügen.
„Es tut mir leid", sagte sie mit aufrichtigem Bedauern. „Nur reisen Kit und ich fast nie nach London. Wir sind einfache Leute vom Land ... "
„So ein Unsinn. Rafe sagt auch immer solche Dinge - meist dann, wenn er versuchen will, sich vor etwas zu drücken."
Anna musste lachen. „Nein, ich verspreche Ihnen, dass ich nicht versuchen will, mich vor einem Besuch bei Ihnen zu drücken. Aber im Sommer gibt es hier immer sehr viel zu tun. Kit muss sich um beide Anwesen kümmern - um Holcomb Manor und um Winterset - und ich kann ihn nicht mit all der Arbeit allein lassen."
„Nun, dann werde ich Ihnen schreiben. Und Sie müssen mir wenigstens versprechen zu antworten!"
„Ja, das werde ich."
„Dann überrede ich Sie doch noch zu einem Besuch - Sie werden schon sehen."
Kurz darauf kamen Rosemary und Kit zurück in den Salon. Ihre Gesichter wirkten ein wenig erhitzt, und Anna hatte den Eindruck, dass Miss Farrington geweint hatte. Kyria stand auf, und die Holcombs brachten ihren Besuch noch bis hinaus zur Kutsche.
„Richten Sie bitte auch Lord Moreland unsere besten Abschiedsgrüße aus", sagte Anna schließlich betont beiläufig.
Kyria schaute sie überrascht an. „Reed? Oh, aber Reed kehrt gar nicht mit uns nach London zurück. Es tut mir leid, dass mir gar nicht bewusst war, Sie könnten denken, dass er auch abreist. Nein, nur ich und Rafe mit dem Baby sowie die Zwillinge und Rosemary fahren morgen zurück."
„Oh ..." Auf einmal wurde Anna ganz leicht ums Herz. Sie ermahnte sich rasch, dass diese Neuigkeit sie eigentlich gar nicht erfreuen sollte, ebenso wenig wie der Gedanke daran, Reed wiederzusehen. „Er ... er sollte aber auch nicht hierbleiben. Sie sollten ihn davon überzeugen, dass es viel sicherer ist, nach London zurückzukehren."
Kyria lachte hell auf. „Aber nein! Wenn ich Reed das vorschlagen würde, wäre er sogleich noch entschlossener zu bleiben."
Kit half den beiden Frauen in die Kutsche. Sein Blick war auf Rosemary gerichtet, die ihm zum Abschied traurig zuwinkte. Anna betrachtete ihren Bruder, der der Kutsche noch eine Weile nachblickte.
„Es tut mir leid,
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