Das Geheimnis von Winterset
Länge.
„Ich kenne euch", sagte er schließlich.
„Ja, das tun Sie", erwiderte Kit.
Der Mann nickte langsam. „Hallo."
„Hallo, Onkel Charles", antworteten Anna und Kit.
10. KAPITEL
Ihr Onkel nickte erneut, kurz und entschlossen diesmal, und dann noch einmal ... und noch einmal. „Wie geht es euch? Geht es euch gut?", fragte er, und seine geschliffene Aussprache stand in krassem Gegensatz zu seinem verwahrlosten, wunderlichen Äußeren.
„Ja, uns geht es gut", entgegnete Kit. Er und Anna waren sorgsam darauf bedacht, nicht näher an ihren Onkel heranzutreten, denn dieser mochte es nicht, wenn man ihm zu nahe kam. „Und wie geht es Ihnen?"
„Mir geht es gut", erklärte Charles de Winter. „Ich halte nach ihr Ausschau. Ich bin vorsichtig. Das wisst ihr ja."
„Ja, das wissen wir", stimmte Anna ihm zu. „Sie sind immer sehr wachsam."
Mit seinem flackernden Blick sah er sie kurz an und dann wieder rasch beiseite. Anna war das bereits gewohnt. Ihr Onkel mochte es auch nicht, jemandem direkt in die Augen zu blicken. „Das muss man auch sein", bekräftigte er entschieden. „Sie hat überall ihre Spione. Sie versuchen, mich zu finden." Er lächelte Kit und Anna verschwörerisch zu. „Aber ich habe ihnen ein Schnippchen geschlagen."
Er deutete auf die Steine, die um die Hütte herum lagen, sowie auf die Holzpflöcke, die seine Lagerstätte begrenzten und die von oben nach unten mit fremdartigen Schriftzeichen beschrieben waren. Anna verstand nicht, was die Texte bedeuteten, doch sie wusste, dass ihr Onkel darauf beharrte, stets zwischen den beiden Holzpflöcken zu schlafen, da er sich nur auf diese Weise sicher fühlte.
Wie fast alle Leute hier in der Gegend, hatten Kit und Anna lange Zeit geglaubt, dass der Bruder ihrer Mutter vor zehn Jahren nach Barbados ausgewandert war. Erst vor drei Jahren hatte ihr Vater ihnen endlich die Wahrheit gesagt. Ihr Onkel war verrückt.
Anna erinnerte sich noch genau an den Tag, an dem ihr Vater ihnen davon erzählt hatte - dieser Tag hatte all ihre Träume zunichte gemacht.
Nun hatte sich Arthur von seinem Platz am Feuer zu ihnen gesellt. Er nahm seine Kappe ab und neigte seinen Kopf erst vor Kit und dann vor Anna. „Wir freuen uns sehr, Sie beide hier zu sehen, nicht wahr, Mylord?"
„Jawohl, Herr General. Aber ich ..." Charles blickte besorgt zu dem Platz hinüber, an dem er geschlafen hatte.
„Jetzt ist meine Schlafenszeit." Flüchtig sah er seine Nichte und seinen Neffen an und richtete seinen Blick schließlich auf etwas, das ein wenig rechts von den beiden zu liegen schien. „Das ist sehr wichtig. Ihr wisst, dass ich nachts Wache halten muss. Nachts kommen sie am ehesten."
Kit nickte. „Das wissen wir, Onkel Charles. Seien Sie unbesorgt, und gehen Sie ruhig wieder schlafen. Wir werden uns einfach mit Arthur unterhalten."
Ihr Onkel sah seinen Diener ein wenig zweifelnd an, der hingegen nickte ihm ermutigend zu und sagte: „Ich werde Wache halten, Mylord. Kit und Anna helfen mir dabei, aufzupassen."
„Ja ... gut. Aber ich bin nicht sicher, dass sie wissen, worauf sie achten müssen."
„Das werde ich ihnen erklären. Machen Sie sich keine Sorgen, Mylord. Wir halten Ausschau, und noch ist ja auch Tag."
„Ja, das stimmt natürlich. Und ich bin ja jetzt gut beschützt." Charles de Winter deutete auf seine Handrücken, wo mit schwarzer Kohle noch mehr unverständliche Schriftzeichen geschrieben standen. „Ich habe sie abgeändert, seht ihr? Viel besser als die alten. Gabriel hat sie mir verraten."
„Oh, da bin ich aber froh", erwiderte Anna und nickte lächelnd, was im Umgang mit ihrem Onkel immer noch die beste Strategie war.
Dann gingen sie und Kit mit Arthur zurück zur Hütte, von wo der alte Diener zwei einfache Holzstühle nach draußen holte, damit sie beide sich setzen konnten.
„Wie geht es ihm?", erkundigte sich Kit und deutete mit dem Kopf in Richtung seines Onkels, der gerade dabei war, sich mit großer Sorgfalt in seine Decken zu wickeln, um sich wieder zwischen den beiden Holzpflöcken schlafen zu legen.
„Er hat seine guten und seine schlechten Tage", meinte Arthur unverbindlich. Er hatte sich um Lord de Winter gekümmert, seit dieser ein Kind gewesen war. Nur als Charles auf die Internatsschule musste, waren sie für längere Zeit voneinander getrennt gewesen. Nicht viele junge Männer hätten nach ihrer Heimkehr aus Eton einen Mann wie Arthur zu ihrem Kammerdiener gemacht, der in seinen Umgangsformen und seiner Aussprache
Weitere Kostenlose Bücher