Das Geheimnis zweier Ozeane
höre Sie, Lord.“
„Richtung Nordnordost. Mehr nach Ost. Das Tier schwimmt jetzt noch schneller. Seine Körperschlingen haben sich von meinen Augen etwas gelockert, und meine Stirnlaterne beleuchtet den Raum vor mir.“
„Sehen Sie dort etwas, Lord?“ fragte der Kapitän erregt. „Das ist sehr wichtig.“
„Nein, Kapitän. Vor mir blinken nur gelegentlich Meerestiere auf. Sie ergreifen vor mir die Flucht, so, als wollten sie den Weg frei machen … Iwan Stepanowitsch, hören Sie mich?“
„Ich höre Sie, Arsen Dawidowitsch, ich höre Sie gut …“
„Wissen Sie, ich habe den Eindruck, als hätten die Bewohner der dunklen Tiefen einen besonderen Warnsinn, der sie befähigt, das Nähern von Lebewesen und Gegenständen zu fühlen …“
„Sehr interessant … Wenn das aber weder Gesicht noch Gehör ist, welche Erscheinungen dann, außer Licht und Schall, kann dieser zusätzliche Sinn aufnehmen?“
„Den Druck! Ich glaube, daß dieser Sinn, der ja natürlich nicht etwas Neues darstellt, nur ein verfeinertes, besonders gut entwickeltes und vervollkommnetes Gefühl zur Wahrnehmung des Druckes ist, das an sich mehr oder weniger stark jedem Lebewesen eigen ist.“.
„So, Sie nehmen also an, daß ein sich bewegender Gegenstand, besonders ein solcher mit großer Geschwindigkeit, auf die in seiner Bewegungsrichtung liegenden Wasserschichten einen Druck ausübt, der sich dann sogar den weit entfernten Lebewesen des Meeres mitteilt. Das meinen Sie doch?“
„Ganz recht. Sie haben mich verstanden. Sie … Kapitän! Kapitän!“ rief plötzlich der Zoologe.
„Ich höre, Lord!“
„Links von mir sah ich gerade eine Bergspitze, einen hohen spitzen Pik. Sieht wie ein Minarett aus. Nun kommen Hügel und wieder Felsen … Wir schwimmen am Ausläufer eines Bergrückens entlang … Ich sehe es ganz deutlich. Meine Stirnlaterne beleuchtete hell den Meeresboden. Und jetzt taucht ein riesiger, fast würfelförmiger Felsen auf, der wie ein mittelalterliches Kastell aussieht, mit Türmen, Zinnen, Bastionen …“
„Ausgezeichnet, Lord! Solche Einzelheiten erleichtern uns die Suchaktion.“
„Nur über die Richtung bin ich mir noch nicht ganz im klaren. Seit ich auf den Kompaß geschaut habe, kann das Tier schon ein paarmal die Richtung geändert haben.“
„Das ist jetzt nicht mehr so wichtig. Wir nehmen Ostkurs zur Gebirgskette und dann an ihr entlang nordwärts. Der Pik und das Kastell werden uns als gute Wegweiser dienen. Funken Sie Ihre Beobachtungen weiter.“
„Gut …“
„Da kommt auch schon Schelawin mit seinen Begleitern. In einigen Minuten laufen wir aus.“
Nach halbstündiger Fahrt erschien auf dem Bildschirm im Steuerraum das dunkle Massiv des Bergrückens. Die Ultraschall-Bildwerfer zeigten schon von weitem die undeutlichen Umrisse einzelner Erhebungen, Schluchten und Spalte. Das U-Boot näherte sich den Bergen, drehte dann nach Nord und setzte seine Fahrt langsam fort. Ab und zu informierte der Zoologe den Kapitän über neue Geländemerkmale; einmal meldete er einen bogenförmigen, überdeckten Schluchteingang, später zwei Hügel, deren Gipfel sattelförmig verbunden waren, dann wieder einen Felsen, dessen Spitze von einem kleineren Felsen gekrönt war. Dies alles notierte Leutnant Krawzow der Reihenfolge nach und berechnete die mutmaßlichen Entfernungen zwischen den angegebenen Punkten.
Das unbekannte Tier trug den Zoologen mit wachsender Geschwindigkeit in nördlicher Richtung davon. Die ,Pionier‘ drang in diese unbekannte interessante Bergwelt nur mit einem Fünftel ihrer vollen Geschwindigkeit ein, um die auf dem Bildschirm auftauchenden Orientierungspunkte besser beachten zu können.
Es waren schon vier Stunden verflossen, seitdem Lordkipanidse von dem Ungeheuer gepackt worden war. Das U-Boot konnte ihm nicht schnell genug folgen, und die Entfernung zwischen Jäger und Gejagten wurde immer größer.
Nach einer weiteren Stunde funkte der Zoologe, sein Taucherhelm sei jetzt wieder fest umschlungen, so daß er jede Sicht verloren habe. Er könne die Geländemerkmale deshalb nicht mehr beschreiben. Nur die Richtung war bekannt: direkt nach Nord. Lordkipanidse beklagte sich, der Arm mit dem Kompaß sei so fest an seine Brust gedrückt, daß er ihn nicht mehr fühle.
Es vergingen weitere zwei Stunden. Das U-Boot bewegte sich langsam an der Bergkette entlang. Kapitän Woronzow, der diese ganzen sieben Stunden pausenlos im Steuerraum verbracht hatte, schritt auf und ab und schaute
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