Das Geheimnis
mehr kann die Befindlichkeit einer Frau beeinflussen. Und wenn eine Frau in schlechter Befindlichkeit ist, kann dies nach einem Beischlaf Einfluss auf den männlichen Samen in ihrem Körper haben.«
Fürstin Keisho-in verdeutlichte ihre Worte, indem sie mit den Händen ihren stämmigen Leib entlangfuhr, sich über den Bauch rieb und zum Schluss auf ihren Schoß zeigte. Die Fünf Ältesten blickten zu Boden, abgestoßen von dieser freizügigen Demonstration so delikater Angelegenheiten. Nur Kammerherr Yanagisawa starrte die Fürstin fasziniert an, und der Shôgun lauschte andächtig ihren Worten. Hirata wand sich vor Verlegenheit, doch Sano verspürte nur schreckliche Furcht, denn er ahnte, was Keisho-in vorhatte.
»Eine Empfängnis ist nur möglich, wenn die Frau von heiterer Ruhe erfüllt ist«, fuhr Keisho-in fort. »Zurzeit aber gehen die Sonderermittler im Inneren Schloss aus und ein. Sie stellen Fragen und schnüffeln überall herum. Wie kann man da erwarten, dass eine der Konkubinen ein Kind empfängt? Das ist unmöglich!«
Sie klopfte mit dem Fächer auf die Hand ihres Sohns. »Deshalb musst du den Sonderermittlern befehlen, das Innere Schloss zu verlassen.« Die Fürstin verschränkte die Arme vor der Brust und blickte herausfordernd in die Runde.
Die Fünf Ältesten saßen mit finsteren Mienen da, doch keiner von ihnen sagte ein Wort: Mehrere ihrer Vorgänger hatten ihre Sitze im ältesten Staatsrat verloren, weil sie anderer Meinung gewesen waren als Fürstin Keisho-in. Während Sano all seinen Mut sammelte, um zu tun, was die Ehre und sein Gewissen von ihm verlangten, brach Kammerherr Yanagisawa die unbehagliche Stille.
»Ich verstehe die Sorgen Eurer ehrenwerten Mutter, mein Fürst«, wandte er sich vorsichtig an den Shôgun, denn selbst er, der zweite Mann im Staat, musste vor der Fürstin auf der Hut sein. »Aber wir müssen zwischen unser aller Wunsch nach einem Erben und der Notwendigkeit abwägen, die ungebrochene Stärke des Tokugawa-Regimes zu beweisen. Wenn wir einen Mörder und Hochverräter ungestraft davonkommen lassen, zeigen wir Schwäche und Verletzlichkeit gegenüber weiteren Angriffen. Meint Ihr nicht auch, sôsakan Sano?«
»Ja«, antwortete Sano unglücklich. »Die Ermittlungen müssen ohne Behinderungen weitergeführt werden.« Wenn Fürstin Keisho-in ihm und seinen Sonderermittlern den Weg ins Innere Schloss versperren wollte, dann bestimmt nicht aus den Gründen, die sie vorgebracht hatte. Nein, die Fürstin wollte verhindern, dass Sano irgendetwas entdeckte, das sie als Mörderin Harumes entlarvte. Sie hatte Angst, jemand könnte von ihrem Verhältnis mit Harume erfahren – wahrscheinlich suchte sie den Brief, den Sano bereits entdeckt hatte. Dass sie nun die Nachforschungen im Inneren Schloss verhindern wollte, erhärtete nur den Verdacht gegen die Fürstin.
»Hör nicht auf sie«, riet Keisho-in nun ihrem Sohn. »Vertraue auf die Weisheit meines Alters. Außerdem hat mein buddhistischer Glaube mir das Wissen über die mystischen Kräfte des Schicksals verliehen. Ich weiß, was am Besten ist.«
Der Shôgun – ein Bild der Hilflosigkeit und Unsicherheit – blickte von Keisho-in zu Yanagisawa und dann zu Sano, dem es in den Ohren dröhnte, so heftig schlug sein Herz. Die Gesichter der Ratsmitglieder verschwammen vor seinen Augen. Die gewaltige Last der Worte, die er Fürstin Keisho-in nun sagen musste, um den Fortgang der Ermittlungen zu sichern, ließ seine Lippen taub und kalt werden. Doch der Bushido, der Verhaltenskodex der Samurai, der von Sano verlangte, stets Ehre und Gerechtigkeit zu achten, entfachte seinen Mut. Nach den Regeln des Bushido zählte das Leben eines einzelnen Samurai weniger als die Festnahme eines Mörders und Verräters. Sanos Hand bewegte sich zur Schärpe, um Keisho-ins Brief darunter hervorzuziehen.
Doch mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass er nicht mehr für sich allein verantwortlich war. Falls man ihn wegen Hochverrats verurteilte, würden Reiko und Magistrat Ueda ihn auf den Hinrichtungsplatz begleiten und mit ihm sterben. Sano war bereit, sich für seine Grundsätze zu opfern, aber durfte er seine neue Familie in Gefahr bringen?
Ein wiedererwachendes Gefühl der Verbundenheit mit seiner jungen Familie erfüllte Sanos Inneres mit süßer, schmerzlicher Wärme. Er nahm die Hand von der Schärpe. Wie sehr hatte er sich in den Jahren der Einsamkeit nach einer Ehe gesehnt. Doch eine Woge des Zorns spülte Sanos Empfindungen so rasch wieder
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