Das Geheimnis
wieder draußen bist, bevor der Posten aufwacht, stört es ihn nicht.«
»Nun ja …« Der alte Mann zögerte.
In Kushida stieg die Furcht auf, sein Plan könnte misslingen. »Du glaubst doch nicht etwa, dass ich der Mörder von Konkubine Harume bin, Yohei, oder?«, fragte er.
»Natürlich nicht!«, erwiderte der treue Gefolgsmann empört, fügte dann jedoch unsicher hinzu: »Aber Ihr habt den sôsakan und seine Männer angegriffen …«
»Aber ich habe Harume nicht ermordet«, beteuerte Kushida. »Ich wusste nicht einmal, dass sie sich tätowieren wollte. Wieso also hätte ich die Tusche vergiften sollen? Aber sôsakan Sano muss einen Sündenbock vorweisen, deshalb hat er mir etwas angehängt. Ich bin nicht in sein Haus eingebrochen, und ich habe nie jemanden angegriffen. Das alles sind Lügen!«
Außer sich vor Zorn, stieß Yohei hervor: »Wie kann der sôsakan-sama es wagen, meinen jungen Herrn einer Tat zu bezichtigen, die er nicht begangen hat? Ich werde Sano töten!«
»Und ebenfalls unter Mordanklage in einer Zelle enden? Nein, Yohei, das wäre dumm.« Kushida seufzte in gespielter Niedergeschlagenheit. »Uns bleibt nur eins: Wir müssen warten, bis die Wahrheit ans Licht kommt. Dann wird mein Name wieder reingewaschen sein.« Kushida, dem das Herz bis zum Hals schlug, beobachtete den alten Mann aufmerksam. »Und jetzt mach die Tür auf, und komm zu mir rein, damit wir unsere Partie zu Ende spielen können. Ich verspreche dir, dass ich nicht zu fliehen versuche. Du kennst mich, so lange ich lebe, Yohei. Du kannst mir vertrauen.« Kushida legte Schmerz in seine Stimme. »Außerdem … fühle ich mich einsam. Ich … Ich brauche jemanden hier bei mir.«
In Yoheis Augen spiegelten sich Zuneigung und Mitgefühl und schimmerten Tränen. »Also gut.« Er legte einen Finger auf die Lippen und ging zur Tür.
Blitzschnell war Kushida beim Go -Brett, warf die Spielsteine in den Kasten und schob ihn unter seinen Kimono. Dann packte er das Spielbrett an einem der hölzernen Beine. Wenige Augenblicke später hörte er das metallene Klicken, als Yohei das Schloss öffnete und den Riegel zurückschob. Kushida huschte neben die Tür und verharrte dort mit wild klopfendem Herzen. Der Posten schnarchte weiter. Langsam öffnete sich die Tür. Auf Zehenspitzen betrat Yohei die behelfsmäßige Zelle, die Kerze in der Hand.
»Junger Herr?«
Kushida streckte den Fuß vor. Yohei stolperte und stürzte zu Boden. »Was …?«
Binnen eines Lidschlags war Kushida über Yohei hinweg und auf den Gang gesprungen. »Nein, junger Herr!«, hörte er seinen Freund rufen. Der Wächter saß dösend neben der Tür, einen Speer in der Hand. Der plötzliche Lärm weckte ihn, und er schlug genau in dem Augenblick die Augen auf, als Kushida das Go- Brett schwang. Mit einem Übelkeit erregenden Geräusch prallte das massive Ebenholz dem Wächter an den Kopf. Der Mann sank bewusstlos zu Boden. Kushida schleuderte das Spielbrett zur Seite, riss dem besinnungslosen Wächter den Speer aus der schlaffen Hand und stürmte den Gang hinunter.
»Bitte, kommt zurück, junger Herr!«, rief Yohei und humpelte ihm hinterher. »Ihr könnt nicht entkommen! Der yashiki ist umstellt. Die Soldaten werden Euch töten!«
Türen wurden aufgerissen, und Rufe und Schreie gellten durch die Nacht, während die Hausbewohner und Wachposten aus dem Schlaf gerissen wurden. Soldaten erschienen und machten Jagd auf Kushida. »Der Gefangene ist frei!«, riefen sie. »Ergreift ihn!«
Kushida stürmte zur Hintertür, so schnell seine Beine ihn trugen. Als er einen Blick über die Schulter warf, sah er zwei Soldaten, die ihm nachsetzten. Kushida zog den Behälter mit den Go -Spielsteinen unter seinem Kimono hervor und warf ihn den Männern in den Weg. Der Deckel sprang auf, und die Spielsteine rollten über den Boden. Die Soldaten stießen erschreckte Schreie aus, als sie ins Rutschen kamen. Dann stürzten sie krachend auf die Fußbodenbretter.
Kushida riss die Tür auf, stürmte auf den von Laternen erhellten Hof … und überraschte zwei weitere Soldaten mit seinem plötzlichen Erscheinen. Sofort ließ er den Speer, den er dem Wachposten entrissen hatte, mit tödlicher Genauigkeit wirbeln. Zwei blitzschnelle Schläge mit dem Schaft trafen die Köpfe der Männer, und sie stürzten bewusstlos zu Boden. Weitere Soldaten sprangen vom Dach des Hauses, um sich auf den Gefangenen zu stürzen, doch Kushida flüchtete bereits durch das Tor. Zwei schnelle Speerstöße setzten die
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