Das Geheimnis
ans Bett gefesselt; mehrere vertrauenswürdige Ärzte und Diener kümmerten sich um sie und wachten darüber, dass ihre Ruhe gewahrt blieb. Aus diesem Grunde war Fürstin Keisho-in, die Mutter des Shôguns und seine engste Ratgeberin, die wahre Herrscherin des Inneren Schlosses.
»Aber wenn es ein Mord war«, fuhr Hirata mit gesenkter Stimme fort, »brauchen wir Informationen über die Beziehungen von Konkubine Harume zu den Personen, mit denen sie verkehrte. Ich werde diskrete Nachforschungen anstellen.«
»Gut.« Sano wusste, dass er sich auf seinen jungen Gefolgsmann verlassen konnte, der schon oft seinen scharfen Verstand, seinen Mut und seine unerschütterliche Treue bewiesen hatte. Zuletzt hatte er Sano in Nagasaki geholfen, einen schwierigen Fall zu lösen, wobei er diesem sogar das Leben gerettet hatte.
»Noch etwas, sôsakan«, sagte Hirata, als er und Sano das Zimmer verließen, »es tut mir Leid, dass Ihr Euer Hochzeitsbankett verschieben müsst.« Hirata verneigte sich. »Ich gratuliere Euch herzlich zur Hei rat. Es wird mir eine Ehre sein, auch der ehrenwerten Reiko treu und gehorsam zu dienen.«
»Danke, Hirata-san.« Auch Sano verbeugte sich. Er schätzte Hiratas Freundschaft sehr, die ihm über die einsamste Zeit seines Lebens hinweggeholfen hatte: Nach seiner Ernennung zum sôsakan hatte Sano anfangs nicht einsehen wollen, dass man Verantwortung und Risiken manchmal teilen musste; doch Hirata – damals lediglich ein Sano zugeteilter Helfer im Range eines doshin – hatte ihn gelehrt, dass es mitunter notwendig und ehrenvoll war, einen Teil der Verantwortung abzugeben. Inzwischen waren Sano und Hirata Herr und Gefolgsmann, wie es der alten Samurai-Tradition entsprach, und durch ein unzerreißbares Band aus Treue, Ehre und gegenseitiger Achtung miteinander verbunden.
Froh, die Angelegenheiten in Hiratas Händen zu wissen, verließ Sano den Palast und machte sich auf den Weg zur Leichenhalle von Edo.
3.
D
as Tor zu Sanos Villa, die sich im Wohnviertel der Beamten auf dem Palastgelände befand, war an diesem strahlenden Herbstnachmittag weit geöffnet. Lastenträger brachten die Hochzeitsgeschenke angesehener Bürger Edos, die sich auf diese Weise die Gunst des sôsakan sichern wollten. Die Geschenke wurden am großen Tor vor Sanos Villa von Dienern in Empfang genommen und über den gepflasterten Hof und durch das zweite Tor im inneren Zaun in das ziegelgedeckte Fachwerkhaus getragen, wo sie von Hausmädchen ausgepackt wurden. Der oberste Diener beaufsichtigte derweil die abschließenden Umbauarbeiten an Sanos Villa, die dieser bislang allein bewohnt hatte und die nun für ihn und seine Frau hergerichtet werden musste. Die Sonderermittler aus Sanos Einheit patrouillierten in den Wohngebäuden der Dienerschaft, in den Kasernen der Wachmannschaft, in den Stallungen und Schreibstuben und sorgten dafür, dass während der Abwesenheit des Hausherrn die Arbeit reibungslos vonstatten ging.
Fernab vom Lärm und dem geschäftigen Treiben kniete Ueda Reiko, die noch immer ihren weißen Hochzeitskimono trug, in ihrem Zimmer im Wohntrakt der Villa inmitten von Kisten, die aus dem Haus von Magistrat Ueda hierher gebracht worden waren und in denen sich Reikos persönliche Habe befand. Das neu eingerichtete Gemach roch angenehm nach frischen Tatami-Matten. Ein farbenfrohes Wandgemälde, das Vögel in einem Wald zeigte, zierte eine der Wände. Eine schwarze Frisierkommode mit goldenen Einlegearbeiten, die Schmetterlinge darstellten, ein dazu passender Wandschirm und eine Truhe mit Lackarbeiten standen bereits am vorgesehenen Ort. Das nachmittägliche Sonnenlicht fiel durch die papierenen, mit Holzgittern verstärkten Fenster, und draußen im Garten sangen die Vögel. Doch weder die angenehme Umgebung – ja, nicht einmal die Tatsache, dass sie nun im Palast zu Edo wohnte, das Ziel aller Damen von Rang-, konnten Reikos Ängste und Traurigkeit vertreiben.
»Da seid Ihr ja, junge Herrin!«
O-sugi, Reikos einstiges Kindermädchen und nun ihre Freundin und Vertraute, die mit ihr in den Palast übergesiedelt war, betrat das Zimmer. Voller Zuneigung musterte die dickliche Frau Reiko. »Sie hängt wieder mal Tagträumen nach – wie üblich«, seufzte O-sugi.
»Ich wüsste nicht, was ich sonst tun sollte«, erwiderte Reiko traurig. »Das Hochzeitsbankett wurde verschoben; alle Gäste sind gegangen. Und du hast selbst gesagt, dass ich nicht auspacken soll, weil es einen schlechten Eindruck auf die Dienerschaft
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