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Das Geheimnis

Das Geheimnis

Titel: Das Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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zwischen Harume und einer anderen Konkubine, der ehrenwerten Ichiteru. Sie … Sie kamen nie so recht miteinander aus.«
    Keisho-in starrte Chizuru an, den Mund weit aufgerissen, was ihr lückenhaftes Gebiss sehr unvorteilhaft zur Geltung brachte. »Ach! Davon höre ich zum ersten Mal!«
    »Wieso kamen Harume und Ichiteru nicht miteinander aus?«, verlangte Sano zu wissen.
    »Die ehrenwerte Ichiteru ist eine Dame von edelster Herkunft«, erklärte Chizuru. »Sie stammt aus Kyôto und ist eine Cousine des Kaisers.« Von den Tokugawa beherrscht lebte die kaiserliche Familie in vornehmer Abgeschiedenheit in der alten Kaiserstadt Kyôto. »Bevor Harume vor acht Monaten in den Palast gekommen ist, war die ehrenwerte Ichiteru die bevorzugte Gesellschaft des Shôguns … jedenfalls von den Frauen.«
    Chizuru warf ihrer Herrin einen schuldbewussten Blick zu und schlug die Hand vor den Mund. Die Vorliebe Tokugawa Tsunayoshis für Männer war allgemein bekannt, aber im Beisein seiner Mutter wurde dieses Thema offensichtlich nicht angesprochen.
    »Doch als Harume in den Palast kam, hat sie Ichiterus Platz als Favoritin des Shôguns eingenommen«, führte Sano den Gedanken zu Ende.
    Hofdame Chizuru nickte. »Der Shôgun verlangte nicht mehr nach Ichiteru, um mit ihr die Nächte zu verbringen; stattdessen wünschte er, dass Harume in seine Gemächer kam.«
    »Aber das hätte Ichiteru nichts ausmachen dürfen!«, erklärte Fürstin Keisho-in in einem Anflug von Zorn. »Mein geliebter Sohn hat das Recht, sich der Gesellschaft jeder Dame zu erfreuen, die er begehrt. Außerdem ist es seine Pflicht, einen Erben zu zeugen. Und da Ichiteru nicht schwanger wurde, hat mein geliebter Sohn recht daran getan, es mit Harume zu versuchen.« Keisho-in kicherte und zwinkerte Hirata zu: »Eine junge, frische, fruchtbare Frau voller Saft und Kraft – so wie ich eine war, als ich meinen geliebten, dahingeschiedenen Iemitsu kennen gelernt habe. Ihr kennt diese Art von Mädchen, nicht wahr, junger Mann?«
    Hiratas Wangen liefen vor Scham feuerrot an. » Sumimasen – verzeiht«, sagte er, »aber gab es noch irgendjemanden unter den Beamten, Dienerinnen oder Wächtern, der mit der ehrenwerten Harume nicht zurechtkam?«
    Keisho-in schüttelte den Kopf und wischte die Frage mit der Hand beiseite, in der sie ihre Pfeife hielt, wobei sie Asche über die Kissen verstreute. »Sämtliche Bedienstete sind Menschen von hervorragendem Charakter und mit den besten Eigenschaften. Ich habe mit allen persönlich gesprochen, bevor ihnen gestattet wurde, im Inneren Schloss zu arbeiten. Keiner von ihnen würde auch nur die Hand gegen eine der Konkubinen erheben.«
    Die Wangenmuskeln von Hofdame Chizuru begannen zu zucken, und sie starrte nervös auf den Fußboden. Sano wurde sich einer beunruhigenden Tatsache bewusst: Fürstin Keisho-in wusste offenbar wirklich nicht, was um sie herum geschah. Die otoshiyori leitete die Verwaltung des Inneren Schlosses – so, wie Kammerherr Yanagisawa die Regierung für Tokugawa Tsunayoshi führte. Dass die beiden Oberhäupter des in Japan herrschenden Familienklans so schwach, ja schwachköpfig waren – es gab keinen anderen Ausdruck dafür – verhieß nichts Gutes für das Land.
    »Manchmal sind die Menschen nicht das, was sie zu sein scheinen«, meinte Sano in dem Versuch, der Fürstin einen Anstoß zu geben. »Jemand könnte seine wahre Natur verbergen, bis irgendetwas geschieht …«
    Doch es war Chizuru, die diese Gelegenheit nutzte; offensichtlich war sie hin und her gerissen zwischen der Furcht, Fürstin Keisho-in zu widersprechen und der, den sôsakan-sama des Shôguns zu belügen. »Die Dienstakten der Palastwächter sind allesamt makellos. Sie stammen aus hervorragenden Familien und haben für gewöhnlich einen guten Charakter. Aber einer von ihnen, Leutnant Kushida … vor vier Tagen brachte Konkubine Harume eine Beschwerde vor und beklagte sich darüber, dass der Leutnant sich ihr gegenüber ungehörig verhielte. Wenn keine Palastbeamten zugegen waren, trieb Kushida sich in Harumes Nähe herum und versuchte, Gespräche mit ihr zu beginnen. Gespräche über … ungehörige Dinge.«
    Sano wusste, was Chizuru damit meinte: Intimitäten.
    »Leutnant Kushida schickte der ehrenwerten Harume anstößige Briefe«, fuhr die Hofdame fort. »Das erzählte sie mir jedenfalls. Sie behauptete sogar, der Leutnant hätte sie heimlich beim Baden beobachtet. Sie habe ihm wieder und wieder gesagt, er solle sie in Ruhe lassen, doch er

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