Das Geheimnis
anstrengenden Tag mit einem neuerlichen Ehekrach zu beginnen.
Hirata, der Sanos Stimmungen stets spüren konnte, erklärte: »Die Männer und ich hatten gestern Abend eine kleine Feier für Euch geplant. Ich nehme an, es macht Euch nichts aus, dass wir beschlossen haben, diese Feier zu verschieben, sodass Ihr gestern Eure Ruhe hattet?«
Sano beeilte sich, Hiratas Frage zu bejahen, denn er wusste, wie wild es auf solchen Festen zuging. Jetzt hoffte er nur, dass sein Treffen mit dem Shôgun reibungsloser vonstatten ging als seine missglückte Hochzeitsnacht. Doch falls Sano geglaubt hatte, dass die Nachricht, keine Epidemie sei zu befürchten, die Sorgen des Shôguns zerstreut hätte, sah er sich getäuscht. Tokugawa Tsunayoshi, der Sano und Hirata in seiner privaten Wohnhalle inmitten von Wächtern und Dienern empfing, begrüßte seine Besucher mit einem gequälten Seufzer.
»Aaah, sôsakan-sama«, sagte der Shôgun in weinerlichem Tonfall, »die Ermordung meiner Konkubine hat mich so sehr aufgebracht, dass ich letzte Nacht kein Auge zugetan habe. Jetzt habe ich fürchterliche Kopfschmerzen, und mein Magen bereitet mir Kummer, und mir ist übel, und – ach, mein ganzer Körper tut mir weh.«
Tokugawa Tsunayoshi lag auf einem mit Seidenkissen bedeckten Podium. Er trug ein Morgengewand aus bronzefarbener Seide. Der Shôgun schien sich tatsächlich nicht wohl zu fühlen, denn er sah übermüdet, blass und viel älter aus als seine 44 Jahre. Ein Diener stellte einen Schirm vors Fenster, damit der Shôgun vor den hellen Sonnenstrahlen geschützt war, die das Papierfenster erglühen ließen. Andere Bedienstete schürten Holzkohleöfen und erhitzten das Zimmer bis zur Unerträglichkeit. Ein Priester sang Gebetslieder. Neben dem Shôgun kauerte Dr. Kitano, eine Schale mit einer dampfenden Flüssigkeit in den Händen.
Sano und Hirata knieten nieder und verneigten sich. »Ich bitte um Vergebung, mein Fürst, dass wir Euch belästigen, obwohl Ihr erkrankt seid«, sagte Sano. »Wenn Ihr wünscht, dass ich Euch später Bericht erstatte, was den Stand der Ermittlungen betrifft …«
Mit einer kraftlosen Handbewegung gebot der Shôgun ihm zu schweigen. »Bleibt nur, bleibt«, sagte er, stützte sich auf und wollte einen Schluck von der dampfenden Flüssigkeit trinken, die Dr. Kitano ihm hinhielt; doch dann hielt er inne und starrte misstrauisch in die Schale. »Was ist das?«
»Tee aus Bambusasche, um Euren Magen zu beruhigen.«
»Du da! Komm her!« Tokugawa Tsunayoshi winkte einen Diener zu sich und befahl: »Trink einen Schluck, damit wir alle sehen, dass es … äh, kein Gift ist.«
»Aber ich habe den Tee mit eigenen Händen zubereitet«, sagte Dr. Kitano. »Ihr könnt ihn unbesorgt trinken.«
»Im Palast von Edo läuft ein Giftmörder herum«, erwiderte der Shôgun düster. »Da kann sich niemand mehr seines Lebens sicher sein.«
Der Diener trank einen Schluck. Nachdem mehrere Sekunden verstrichen waren, ohne dass der Mann tot umgefallen wäre, leerte der Shôgun die Schale. Dann führten Diener den Masseur ins Gemach – einen blinden, glatzköpfigen Mann. Tokugawa Tsunayoshi wies auf ein Gefäß mit Öl, das der Masseur in der Hand hielt, und befahl: »Erst … äh, soll jemand anders sich damit einreiben.«
Ein Wachposten rieb sich das Öl auf den Unterarm, während andere Wächter Käfige ins Gemach brachten, in denen Vögel saßen; die Tiere sollten giftige Dämpfe aufspüren. Mehrere Diener waren damit beschäftigt, Kuchen vorzukosten, die dem Shôgun aufgetragen werden sollten. Konkubine Harume schien mit einem Mal vergessen zu sein. Nur die eigene Verletzlichkeit ängstigte den Shôgun, und das aus gutem Grund: Meuchelmord war eine von alters her übliche Methode, der sich mehr als ein machthungriger Feldherr bedient hatte, um einen Herrscher zu beseitigen und die Macht an sich zu reißen.
»Das Gift, das die ehrenwerte Harume getötet hat, befand sich in einem Tuschefläschchen, auf dem ihr Name stand«, sagte Sano. »Der Mörder hatte es eindeutig auf die Konkubine abgesehen – nicht auf Euch, mein Fürst.«
»Das spielt … äh, keine Rolle.« Tokugawa Tsunayoshi grunzte, als einer der Diener ihm den Morgenmantel auszog, sodass sein schlaffer, weißhäutiger Körper zum Vorschein kam. Ein Lendenschurz bedeckte seine Geschlechtsteile, verlief jedoch durch die Gesäßfalte, sodass die runzeligen, welken Pobacken des Herrschers zu sehen waren, als er sich auf den Bauch legte. »Der Giftanschlag war
Weitere Kostenlose Bücher