Das Geheimnis
ein indirekter Angriff auf … äh, mich«, sagte er. »Der Mörder wird sich nicht damit zufrieden geben, eine bedeutungslose Konkubine getötet zu haben. Ich bin in großer Gefahr!«
Die Hände des Masseurs kneteten den Rücken des Shôguns, während Diener ihn mit Kuchenstücken fütterten und die Wachposten überall im Gemach die Vogelkäfige aufstellten. Sano war anderer Meinung als Tokugawa Tsunayoshi, was den Mord an Harume betraf; er hielt den Herrscher nicht für das Ziel des Giftmörders. Doch zu diesem frühen Zeitpunkt der Ermittlungen konnte er die Befürchtungen des Shôguns noch nicht als unbegründet abtun: Politische Intrigen waren ein mögliches Motiv für das Verbrechen. Sano berichtete dem Shôgun von seinem Gespräch mit Fürstin Keisho-in und Hofdame Chizuru; dann legte er seinen Plan dar, Konkubine Ichiteru und Leutnant Kushida zu vernehmen. Außerdem erwähnte er, dass Konkubine Harumes Tagebuch Hinweise auf einen weiteren Verdächtigen enthielt, dessen Identität er noch überprüfen müsse.
Im Gemach breitete sich plötzliche Stille aus. Diener und Wachen stellten ihre Arbeit ein; sogar die Hände des Masseurs erstarrten auf dem Rücken des Shôguns. Hirata sog zischend die Luft ein, und Sano spürte ein Prickeln im Nacken als Antwort auf dasselbe lautlose Signal, das die erschreckten Reaktionen der anderen hervorgerufen hatte. Langsam wandte er sich zur Tür um.
Und dort erblickte er Kammerherr Yanagisawa, in prachtvolle Gewänder gekleidet und ein rätselhaftes Lächeln auf seinem aristokratischen, gut aussehenden Gesicht. Diener, Wächter, die niederen Beamten, der Masseur – sie alle warfen sich unterwürfig zu Boden. Sano blieb nach außen hin ruhig, doch das Herz schlug ihm bis zum Hals. Yanagisawa musste an der Tür gelauscht haben; nun war er gekommen, um Sanos Ermittlungen zu behindern, wie er es bisher jedes Mal getan hatte.
»Aaah, Yanagisawa-san. Willkommen.« Tokugawa Tsunayoshi lächelte seinen einstigen Schützling und langjährigen Geliebten strahlend an. » Sôsakan Sano hat soeben über seine Nachforschungen berichtet, was den Mord an Konkubine Harume betrifft. Wir wüssten Euren Rat zu schätzen.«
Kammerherr Yanagisawa betrachtete Sano als Rivalen im Kampf um die Gunst Tokugawa Tsunayoshis, denn wer die Macht über den schwachen Shôgun besaß, der konnte sich als wahrer Herrscher Japans fühlen. In jüngster Vergangenheit war Kammerherr Yanagisawa nicht einmal davor zurückgeschreckt, Meuchler mit der Ermordung Sanos zu beauftragen und Spitzel auf den verhassten sôsakan anzusetzen, in der Hoffnung, an Informationen zu gelangen, die er gegen Sano benutzen konnte. Außerdem hatte Yanagisawa boshafte, verleumderische Gerüchte über Sano in die Welt gesetzt und einer Vielzahl Beamter befohlen, dem sôsakan bei dessen Nachforschungen Steine in den Weg zu legen. Zuletzt hatte er Sano auf eine gefahrvolle Mission nach Nagasaki entsandt, in der Hoffnung, sein Rivale würde sich dort solch großen Schwierigkeiten gegenübersehen, dass es seine endgültige Vernichtung bedeutete. Doch der heimtückische Plan war gescheitert, und deshalb – das wusste Sano – hasste der Kammerherr ihn mehr denn je.
Nach Sanos Rückkehr hatten sich der Shôgun und eine Vielzahl hoher Beamter im Palast versammelt, um den sôsakan willkommen zu heißen und ihm zu seinem Erfolg zu gratulieren. Als Sano die Reihe der Gratulanten entlanggeschritten war, hatte Kammerherr Yanagisawa ihm einen vernichtenden Blick zugeworfen, aus dem der blanke Hass gesprochen hatte.
Nun wappnete Sano sich gegen einen neuerlichen Angriff, als Yanagisawa das Gemach durchquerte und sich neben seinen Intimfeind kniete. Sano roch das duftige Haaröl des Kammerherrn und den Tabakrauch an dessen Kleidung. Gleichzeitig spürte er, wie Hirata angesichts der Bedrohung die Muskeln spannte.
»Mir scheint, sôsakan Sano hat die Dinge auf bewundernswerte Weise unter Kontrolle«, sagte Kammerherr Yanagisawa.
Sano wartete auf die Seitenhiebe und Sticheleien, die Yanagisawa so geschickt als Lob zu verschleiern verstand; auf den Spott, den der Kammerherr stets als Sorge tarnte; auf die feinen Andeutungen, dass Sano ungehorsam oder untreu gewesen sei – Bemerkungen, die allesamt dazu dienen sollten, beim Shôgun Zweifel an der Lauterkeit und den Fähigkeiten des sôsakan zu wecken. Dabei hatte Sano niemals, weder durch Worte, noch durch Taten, den – ohnehin falschen – Eindruck erweckt, Yanagisawas Macht an sich reißen zu
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