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Das Geheimnis

Das Geheimnis

Titel: Das Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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wie ich bin, streichle ich mit den Händen über meine Brüste, stöhne dabei und lecke mir die Lippen. Seine Kleidung raschelt, wenn er den Gürtel löst und seinen Lendenschurz abstreift. Ich lege mich auf die Bodenkissen, spreize die Beine, biete mich seinen Blicken dar und streichle mich selbst, schneller und schneller, wobei ich laut stöhne, den Rücken durchbiege und den Kopf vor Lust hin und her werfe, obgleich ich gar keine Lust empfinde. Ich höre, wie er draußen keucht und schnauft. Als ich aufschreie, schreit auch er – ein hässlicher Laut, wie von einem sterbenden Tier.
    Dann liege ich still da, die Augen halb geschlossen. Ich beobachte, wie sein Schatten sich am Fenster vorbei bewegt und verschwindet. Als ich sicher bin, dass er fort ist, ziehe ich mich rasch an und eile auf den Marktplatz zurück, bevor die Palastbeamten bemerken, dass ich nicht bei den anderen Mädchen bin. Sonst würde man mich für das, was ich getan habe, schlagen, aus dem Palast hinauswerfen oder sogar töten. Aber er ist sehr reich und mächtig. Bald wird er nach Shikoku reisen, und wir werden uns für mindestens 18 Monate nicht sehen. Deshalb muss ich mir jetzt so viel von ihm holen, wie ich bekommen kann, mag das Risiko auch noch so groß sein.
    Sano war erregt von diesem erotischen Szenarium, und er kam sich selbst wie ein Spanner vor, der im Intimleben einer ermordeten Frau herumschnüffelte. Er schlug das Tagebuch zu und fragte sich, was Harumes Bericht zu bedeuten hatte. Offenbar hatte sie die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass jemand das Buch finden könnte, und hatte die Geschichte deshalb so abzufassen versucht, dass sie sich wie eine erotische Fantasie las; doch es war rasch zu erkennen, dass diese Geschichte der Wahrheit entsprach. Wer aber war Harumes Partner bei diesem bizarren Spiel gewesen? Weshalb hatte sie sich darauf eingelassen, wenn es ihr keine sexuelle Lust bereitet hatte? Was mochte sonst noch zwischen Harume und dem Unbekannten vor sich gegangen sein? Welche Hinweise gibt es, fragte sich Sano. Ein hoch gewachsener, dünner Mann, wohlhabend und mächtig, der eine 18-monatige Reise nach einer Insel im Süden antrat …
    Plötzlich lächelte Sano. Er kannte jemanden, auf den Harumes Beschreibungen passten! Sano blies die Lampe aus, legte sich hin, bettete den Kopf auf die hölzerne Nackenstütze und zog sich die Decke über. Morgen würden Reiko und er ihren Streit begraben und die lange und glückliche Zeit ihrer Ehe beginnen. Zugleich wusste Sano, dass ein beschwerlicher Tag vor ihm lag. Er musste dem Shôgun Bericht erstatten, musste der Untersuchung Harumes in der Leichenhalle von Edo beiwohnen, musste Konkubine Ichiteru und Leutnant Kushida vernehmen – und nicht zuletzt musste er den neuesten Verdächtigen in diesem Mordfall aufsuchen, jenen Mann, auf den Harumes Beschreibung passte: Fürst Miyagi Shigeru, den daimyo der Provinz Tosa.

8.
    S
    anos und Hiratas Atem kondensierte in der frostigen Morgenluft zu weißen Wölkchen, während die beiden Männer durch die engen, gewundenen Gänge zwischen den Gebäuden auf dem Palastgelände zu Edo schritten. Sie befanden sich auf dem Weg zum Shôgun, um diesem zu berichten. Es war ein weiterer frischer und klarer Tag, noch kälter als der vorhergehende. Das Sonnenlicht funkelte auf den Ziegeln der überdachten Mauern und Wände, blitzte zwischen den Fichtenästen hindurch, die sich hoch über den beiden Männern im Wind bewegten, und spiegelte sich auf den Waffen und Rüstungen der patrouillierenden Wachen. Die Schatten waren so klar und scharf wie schwarze Papierschablonen vor weißem Hintergrund, und jedes Geräusch war kristallklar zu vernehmen: die Hufschläge von Pferden auf gepflasterten Gassen, die Marschschritte von Soldaten, Rufe und Befehle. Hoch am weiten, wolkenlosen blauen Himmel flogen Gänse über die Palastanlage hinweg und zogen ihre krächzenden Schreie wie eine Perlenschur aus Tönen hinter sich her. Die kräftigen Gerüche von Herbstlaub und Holzkohlerauch würzten die Luft.
    »Habt Ihr gut geschlafen?«, fragte Hirata in Anspielung auf Sanos Hochzeitsnacht und warf seinem Vorgesetzten einen bedeutungsvollen Blick zu.
    »Ja, danke«, erwiderte Sano kurz angebunden und in der Hoffnung, dass Hirata das Thema nicht vertiefte. Sano hatte das Haus möglichst früh verlassen, um Reiko nicht zu Gesicht zu bekommen, denn er hatte beschlossen, ihre Versöhnung auf den heutigen Abend zu verschieben. Er wollte der Gefahr entgehen, diesen

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