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Das Geheimnis

Das Geheimnis

Titel: Das Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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weiter.« Dann wandte er sich wieder Hirata zu. »Außerdem will ich nicht darauf verzichten, den anderen Verdächtigen ein paar Fragen zu stellen.«
    Wenngleich Hiratas bedrücktes Schweigen ihn mit Besorgnis erfüllte, hatte Sano nicht die Absicht, seine Nachforschungen über die Miyagis und Konkubine Ichiteru einzustellen.

18.
    O
    toshiyori Chizuru stand in der Tür zum Schlafgemach des Shôguns und verkündete: »Und hier, mein Fürst, ist Eure Gefährtin für diese Nacht: die ehrenwerte Konkubine Ichiteru.« Wie das Ritual es verlangte, schlug Chizuru dreimal auf einen kleinen Gong; dann verbeugte sie sich und zog sich zurück.
    Langsam und würdevoll betrat Konkubine Ichiteru das Schlafgemach. Sie hielt ein großes, in gelbe Seide gebundenes Buch in den Händen und trug einen schwarz und braun gestreiften Männerkimono, welcher dick gepolstert war, sodass sie in den Schultern breiter erschien. Ihre Brüste waren mit Stoffbändern zusammengeschnürt. Ihr Gesicht war ungeschminkt; sie hatte kein weißes Puder und kein Lippenrot aufgetragen. Ihr Haar war auf dem Scheitel zu einem straffen Knoten gebunden, wie es bei Männern von Rang üblich war. Nach dreizehn Jahren als Konkubine von Tokugawa Tsunayoshi wusste Ichiteru, wie sie ihm gefallen und ihn erregen konnte. Und nun, da ihr nur noch ein paar Monate blieben, bis sie aus Altersgründen als Konkubine ausscheiden würde, wurde ihr Leben von dem zunehmend drängenden Wunsch beherrscht, ein Kind vom Shôgun zu empfangen, bevor ihre Zeit im Inneren Schloss abgelaufen war. Sie musste jede Gelegenheit nutzen, Tokugawa Tsunayoshi zu verführen.
    »Aaah, meine liebste Ichiteru. Willkommen!« Der Shôgun ruhte auf einem Futon, der mit farbigen Decken gepolstert war, inmitten vergoldeter Schränke aus Lackarbeit und umgeben von edelsten Tatami-Matten. Wandgemälde in leuchtenden Farben zeigten eine Berglandschaft. Mit Blumenmustern verzierte Wandschirme schützten den Herrscher vor Zugluft und hielten die Wärme im Gemach, die von den Holzkohleöfen abgestrahlt wurde. Eine Stehlampe warf ihr warmes, einladendes Licht über den Shôgun, welcher ein malvenfarbenes Seidengewand und einen runden schwarzen Hut trug. Die Luft war von schwerem, süßem Lavendelduft erfüllt. Bis auf die Leibwächter, die vor der Tür Stellung bezogen hatten und Hofdame Chizuru, die an der Tür des angrenzenden Gemachs lauschte, waren Ichiteru und der Shôgun allein. Doch die Stimmung des Shôguns war alles andere als romantisch.
    »Heute war ein … äh, sehr ärgerlicher Tag«, bemerkte er. In seinem bleichen Gesicht hatte die Müdigkeit ihre Spuren hinterlassen. »Es mussten schrecklich viele Entscheidungen getroffen werden! Und dann ist da noch diese scheußliche Angelegenheit, dieser … äh, Mord an Konkubine Harume. Ich weiß kaum noch, was ich tun soll.«
    Er seufzte und blickte Mitleid heischend zu Ichiteru auf. Sie setzte sich, legte das Buch zur Seite und bettete den Kopf des Shôguns in ihren Schoß. Während Tokugawa Tsunayoshi weiter über seine Schwierigkeiten klagte, murmelte Ichiteru ihm tröstende Worte zu: »Macht Euch keine Sorgen, Herr. Alles wird gut.« Nach so vielen gemeinsamen Jahren waren sie wie ein altes Ehepaar, wobei Ichiteru die Freundin, Mutter, das Kindermädchen und – allerdings weniger häufig – die Geliebte des Shôguns war. Doch während sie ihm über die Stirn streichelte, loderte unter der oberflächlichen Gelassenheit von Konkubine Ichiteru brennende Ungeduld. Eine Tempelglocke läutete in der Ferne und ließ sie erkennen, wie rasch und erbarmungslos die Zeit bis zu ihrem 30. Geburtstag verrann, dem sie voller Schrecken entgegensah. Doch sie musste Tokugawa Tsunayoshi ausreden lassen, bevor sie ihre Verführungskünste einsetzte. Während er mit kläglicher, monotoner Stimme weiterredete, schweiften Ichiterus Gedanken zu der einzigen wirklich glücklichen Zeit in ihrem Leben zurück …
    Kyôto – mehr als 1000 Jahre lang Hauptstadt und Sitz der japanischen Kaiser. Im Herzen der Stadt befand sich der gewaltige, ummauerte Kaiserpalast. Ichiterus Familie war mit dem derzeitigen Kaiser verwandt und wohnte in einer Villa auf dem Palastgelände. Hier war Ichiteru in wohl behüteter Abgeschiedenheit aufgewachsen, doch ihre Kindheit war einsam gewesen, denn der Kaiserhof zählte Tausende von Mitgliedern. Ichiteru erinnerte sich an idyllische Tage, die sie beim Spielen mit ihren Geschwistern, Vettern und Freunden verbracht hatte. Doch über den goldenen

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