Das Geheimnis
Körper. Sein flammender Blick huschte über die Gesichter von Sanos Männern. Er wich einen Schritt zurück, senkte leicht den Speer …
… und dann brach Chaos aus, als Kushida sich auf die Polizisten stürzte. Wieder traf Stahl auf Stahl, Rufe und Schreie ertönten, Gestalten wirbelten wie in einem verrückten Tanz umher und zertrampelten Sanos Habseligkeiten. Sano stürzte sich ins Getümmel und rief: »Tötet ihn nicht! Ich will ihn lebend!« Er musste erfahren, weshalb Leutnant Kushida bei ihm eingebrochen war!
Wenngleich seine Gegner ihm zehnfach überlegen waren, kämpfte Kushida verbissen und tapfer. Die wiederholten Aufforderungen, sich zu ergeben, beachtete er nicht. Beim Kampf zerrissen Papierwände, und hölzerne Mittelpfosten zersplitterten. Es war unausweichlich, dass die Klingen auch Leiber trafen und Blut über die Tatami-Matten spritzte. Schließlich packten zwei Sonderermittler den Leutnant von hinten, während Hirata und drei andere ihm den Speer aus den Händen wanden. Sie warfen Kushida zu Boden. Er schrie, schlug um sich und trat mit den Beinen.
»Nehmt die Hände weg! Lasst mich los!« Es waren die ersten Worte, die Kushida von sich gab, seit Sano ihn überrascht hatte.
Nach Atem ringend, schob Sano das Schwert in die Scheide. »Fesselt ihn, und verbindet seine Wunden. Dann bringt ihn in die Wohnhalle. Ich werde dort mit ihm reden.«
Auf dem Weg den Gang hinunter sah er Reiko an der Wand stehen, das gesenkte Schwert in der Hand. Sie bedachte Sano mit einem offen feindseligen Blick. Dann drehte sie sich um und eilte zu ihrem Gemach.
Leutnant Kushida kniete in der Wohnhalle, die Fußgelenke gefesselt, die Hände auf dem Rücken verschnürt. Bis auf seinen Lendenschurz war er nackt. Blutige Verbände bedeckten die Wunden an seinen Armen und Beinen. Er zerrte wild an den Fesseln, wobei er keuchte und schnaufte; sein hässliches Gesicht war eine Grimasse der Wut, und sein verschwitzter Körper erfüllte die Wohnhalle mit einem säuerlichen, Übelkeit erregenden Geruch. In Kushidas Nähe kauerten Hirata und zwei Sonderermittler – für den Fall, dass der Gefangene sich wider Erwarten würde befreien können. Eine Laterne unmittelbar über ihm tauchte Kushida in helles Licht.
Sano, wie durch ein Wunder nur leicht verletzt, ging auf und ab, wobei er auf den gefangenen Leutnant hinunterstarrte. Nach diesem Kampf auf Leben und Tod verspürte er das heftige Verlangen, mit einer Frau zu schlafen, um sich mit Hilfe der fleischlichen Lust von den Schrecken des nahen Todes zu befreien und das wundervolle Gefühl zu genießen, noch am Leben zu sein. Es schmerzte ihn, dass seine ehelichen Probleme ihm diesen Genuss verwehrten. Und der Vorfall an diesem Abend hatte seiner Beziehung zu Reiko weiteren Schaden zugefügt, sie vielleicht sogar für immer zerstört.
»Habt Ihr die Wachposten vor meiner Villa und den anderen Anwesen angegriffen?«, fragte er Kushida.
Der Leutnant starrte ihn hasserfüllt an. »Und wenn schon!«, spie er hervor. »Die Wachen leben noch! Ich weiß, wie man einen Gegner kampfunfähig macht, ohne ihn zu töten.«
So viel zum Thema Reue, ging es Sano durch den Kopf. »Was habt Ihr in meiner Schreibstube gemacht?«
»Nichts!« Leutnant Kushida zerrte so wild an den Fesseln, dass sein Gesicht vor Anstrengung rot anlief. Hirata und die Sonderermittler beobachteten ihn aufmerksam.
»Ihr müsst Euch schon eine bessere Ausrede einfallen lassen, Kushida«, sagte Sano. »Man geht nicht einfach hin, schlägt zehn Wachposten bewusstlos, dringt unerlaubt in das Haus eines Mannes ein und durchwühlt ohne Grund dessen Habseligkeiten. Und jetzt antwortet mir! Warum seid Ihr hierher gekommen?«
»Das spielt doch gar keine Rolle! Denn was ich auch sage, Ihr erfindet ja doch Lügen über mich und zieht Eure Schlüsse, wie es Euch passt!« Kushidas Körper straffte sich bei dem unbeholfenen Versuch, aufzuspringen und sich auf Sano zu stürzen. Hirata packte ihn und drückte ihn wieder auf den Boden. »Mögen die Götter Euch und Eure Familie verfluchen!«, rief Kushida und stieß einen Schwall wüster Beschimpfungen aus.
»Ihr steckt in argen Schwierigkeiten«, sagte Sano und verlieh seiner Stimme trotz seiner aufkeimenden Ungeduld einen gleichmütigen Klang. »Euch droht die Todesstrafe, denn Ihr habt innerhalb des Palastes von Edo eine Waffe benutzt. Ihr seid in mein Haus eingebrochen und habt versucht, meine Frau, meine Leute und mich mit dem Speer zu töten. Aber ich bin bereit, Euch
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