Das geheimnisvolle Gesicht
verlorengeglaubten Spiel plötzlich neue Trümpfe in die Hand bekommen?
Das Frühstück, gut wie immer, wollte ihm nicht schmecken. Mißmutig und gedankenverloren stocherte er in den braun und knusprig gebratenen Speckeiern herum, bis er schließlich den Teller zur Seite schob und sich dem Tee widmete.
„Nanu, ist was nicht in Ordnung, Mister Clifton?“ Der Kellner war gleich einer Katze auf Samtpfoten herangetreten und musterte mißtrauisch das, was er vor kurzem erst als „Eier auf Speck“ serviert hatte und das sich nun darbot, als hätte Perry Clifton darin nach einer Stecknadelkuppe gesucht.
„Es liegt nicht an der Zubereitung“, beschwichtigte Clifton. „Ich habe nur plötzlich keinen Hunger mehr.“
Der Kellner nickte verständnisvoll und nahm den Teller mit den zerstückelten Eiern vom Tisch. „Ist mir auch schon passiert! Hundert Kilometer bin ich mit dem Auto gefahren, um einen ganz besonderen Wildschweinbraten zu essen. Und als ich dort war, war mir so schlecht, daß es nur für drei Korn mit Sprudelwasser gereicht hat.“ Er machte „Haha“, und Clifton machte ebenfalls aus Höflichkeit „Haha“. Dann winkte er den Weißberockten näher. „Könnten Sie den Chef der Rezeption bitten, unauffällig an meinen Tisch zu kommen?
„Selbstverständlich!“ hauchte der Kellner (er hieß übrigens Hans, wie Clifton aus einem Zuruf entnehmen konnte) wie ein Verschwörer zurück und entschwand (samt den mißhandelten Speckeiern) in Richtung Rezeption.
Eine Minute später tauchte ein Schatten auf.
„Sie haben einen Wunsch, Mister Clifton?“ Hellbeiges Flanell neben ihm, eine gedämpfte Stimme.
Clifton deutete auf den Stuhl an seinem Tisch gegenüber. „Bitte, wenn Sie Platz nehmen wollen. Ich glaube, das fällt weniger auf.“
Der Vornehme setzte sich. Seine Miene drückte mehr anteilnehmende Neugier als zurückhaltendes Mißtrauen aus. Aber das konnte natürlich auch Beherrschung oder Schauspielkunst sein. Einige Sekunden lang belustigte Perry Clifton die Vorstellung, sein Gegenüber könne ihn für zahlungsunfähig halten.
„Ich bin Detektiv und in dieser Eigenschaft auch hier in Basel“, begann er. Seine Eröffnung verursachte keinerlei Veränderung in dem freundlichen „Hotelgesicht“. Nicht einmal das Hochziehen einer Augenbraue ließ sich registrieren. Perry fuhr fort: „Die Komplizen (Zweck-Lüge) jener Person, hinter der ich her bin, haben sich nun ihrerseits auf meine Spur gesetzt und bewachen das Hotel. Es wäre für mich von großem Vorteil, wenn ich das Haus durch einen rückwärtigen Ausgang verlassen könnte.“
Der Chef der Rezeption nickte kaum merkbar. Leise erkundigte er sich: „Wann soll das sein?“
„Kurz vor halb elf Uhr!“
„Sobald Sie aus dem Fahrstuhl treten, werde ich die Rezeption verlassen. Sie folgen mir unauffällig, und ich führe Sie zur richtigen Stelle.“
„Vielen Dank.“
Der Vornehme lächelte: „Ich vermutete bereits, daß Sie mit dieser Materie zu tun haben. Und zwar, seitdem ich Sie im Gespräch mit Kommissar Gaitner sah.“
Perry Clifton staunte: „Er hat mir keinen Ton davon gesagt, daß er Sie kennt.“
„Tut er auch nicht. Aber vor einigen Jahren hielt er einen Vortrag im Präsidium über Unwesen und Methoden der internationalen Hoteldiebe. Seine damalige Zuhörerschaft setzte sich ausschließlich aus Hotelmanagern, Empfangschefs und Hoteldetektiven zusammen. Darunter war auch ich.“
„Er ist inzwischen pensioniert!“
„Ah, das wußte ich nicht.“
Perry Clifton überlegte kurz und formulierte dann vorsichtig, da er seinen Gesprächspartner nicht der Geschwätzigkeitbezichtigen wollte: „Haben Sie Ihre Kollegen an Ihrer Vermutung teilhaben lassen?“
Kein vorwurfsvoller Blick, kein entrüstetes Zurückweisen, nur ein kaum wahrnehmbares Kopfschütteln. „Ich gebe höchstens Tatsachen weiter, Herr Clifton. Niemals Vermutungen.“ Und mit Nachdruck: „Sie können sich, was Diskretion und Hilfe anbetrifft, auf mich verlassen.“
Er erhob sich. „Also, kurz vor halb elf...“
Perry Clifton erreichte den Birsig-Parkplatz zwei Minuten vor halb elf. Johannes Gaitner winkte ihm schon von weitem zu. Sie unterhielten sich noch eine Weile, bevor sie losfuhren. Clifton erzählte von seiner Unruhe, seiner Appetitlosigkeit und der Unterhaltung mit dem Empfangschef. Gaitner dagegen berichtete ihm von einem Anruf seiner Schwester, die in Luzern wohnte und die um seinen sofortigen Besuch gebeten hatte. Auch er war beunruhigt. Schon
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