Das geheimnisvolle Gesicht
einen Fotoapparat. Der von Süd kommende Wind trug den Salzgeruch des Meeres herüber. Auch gelegentliches Möwengeschrei störte die Stille, die fast etwas Gespenstisches an sich hatte.
Das halbmeterhohe Gartentor war nur angelehnt. Der Detektiv drückte es mit dem Knie auf. Noch hatte er keine zwei Schritte auf das Haus zu gemacht, als sich die Haustür öffnete.
„Er hat wirklich ein Leuchtturmwärtergesicht“, durchfuhr es Perry Clifton, als er John Astons ansichtig wurde. Das wettergegerbte Gesicht, die Augen, die jetzt allerdings nicht in die Weite, sondern ziemlich mißtrauisch auf den ungebetenen Besucher blickten. „Was gibt’s, Mister? Haben Sie eine Panne?“
„Würde zum Weg passen!“ dachte Perry, während er auf die massige Gestalt des Leuchtturmwärters zutrat.
„Ich habe keine Panne. Ich suche Mister John Aston!“
„Bin ich!“ Aston schien es nach keiner Unterhaltung zu gelüsten, das ging aus seiner Kurzangebundenheit unüberhörbar hervor.
„Mein Name ist Clifton, Mister Aston. Ich komme aus London und hätte mich gern einmal mit Ihnen unterhalten.“
„Mit mir? Worüber?“
„Über einen Unfall, Mister Aston!“
Hatte sich Perry Clifton geirrt, oder war der Mann vor ihm wirklich zusammengezuckt?
„Über welchen Unfall?“
„Gibt es hier so viele, daß Sie das fragen?“
Der mächtige Brustkorb des großen Mannes dehnte und spannte sich. Und böse antwortete er: „Es gibt hier nur einen! Und über diesen einen habe ich schon so viel erzählt, daß es mir reicht! Wenn Sie also etwas wissen wollen, dann fahren Sie zur Polizei nach Folkestone!“
Er wollte sich schon abwenden, als ihm noch etwas einfiel. Etwas Unangenehmes scheinbar.
„Sie kommen aus London?“
„Ja!“
„Wer schickt Sie? Sie schickt doch einer!!“
„Wer sollte mich schicken, Mister Aston? Ich arbeite für ein großes Londoner Journal und bereite eine Serie über ungewöhnliche Versicherungsfälle vor. Das ist alles!“
„Was ist an diesem Fall so ungewöhnlich? Jemand stürzt ins Meer und ertrinkt — aus! Was ist daran ungewöhnlich?“
„Ein Wagen, der rückwärts ins Meer stürzt, eine Frau, die nicht gefunden wird, und eine Versicherung, die an keinen Unglücksfall glaubt. Dazu die Tatsache, daß die Verunglückte zu einer Hochzeit nach Frankreich wollte. Ist das nicht ungewöhnlich?“
„Was geht’s mich an?“
„Sie wollen mir also keine Auskünfte geben?“ forschte Clifton und musterte John Aston wie der Arme den Reichen.
„Kommen Sie rein!!“ Man merkte es Aston an, daß ihn diese Aufforderung sichtlich Überwindung kostete. Und Perry Clifton registrierte mit stummer Verwunderung das wütende Spiel der Backenmuskeln und das Öffnen und Schließen der Fäuste des großen alten Mannes. Man mußte ihn wirklich schon oft und viel gefragt haben, daß er so unwirsch auf neuerliche Nachforschungen reagierte.
Als Clifton hinter John Aston die geräumige Wohnstube betrat, ging ihm plötzlich ein Licht auf. Und lächelnd bemerkte er: »Jetzt wird mir klar, warum man mich vor Ihnen gewarnt hat!“
Er riß den alten Mann förmlich herum. Mit erschrockenen Augen starrte er Clifton an. „Gewarnt?“ würgte er hervor.
„Ja. Ein Mädchen im Ort warnte mich vor Ihnen. Ich solle mich vor Ihnen in acht nehmen, Sie hätten eine Menge Stacheln.“
John Aston entspannte sich. Und dieses plötzliche Entspannen machte ihn fast freundlich. Clifton, dem dieser Vorgang nicht entgangen war, beschloß, ab sofort doppelt genau auf jedes Wort, jede Bemerkung, Vermutung und Geste zu achten, die Aston von sich geben würde.
Der ehemalige Leuchtturmwärter ließ sich in einen schwarzlackierten Schaukelstuhl fallen. „Die Kakteenzucht ist mein einziges Hobby
„Recht ungewöhnlich für einen Leuchtturmwärter!“
„Für einen Leuchtturmwärter außer Dienst, Mister... Wie, bitte, war doch gleich Ihr Name?“
„Perry Clifton! Wie lange haben Sie diesen Beruf denn ausgeübt?“
„Dreiundvierzig Jahre. Als ich meinen letzten Turm verließ — es wird ja heute alles elektronisch gesteuert — , hatte ich schon über dreihundert Kakteen... Sieben Jahre ist das nun schon wieder her.“ Er begann zu schaukeln. Jetzt habe ich über sechshundert... Angefangen vom Arthrocereus rondoniámus bis zum einfachen Zygocáctus. Ich habe Pflanzen, die es sonst nur in tropischen Zonen gibt.“
„Und wie schaffen Sie die Voraussetzungen dafür? Ich meine, daß sie hier gedeihen?“
„Indem ich in verschiedenen
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