Das geheimnisvolle Gesicht
angeschnallt zu bleiben, bis die Maschine zum Stillstand gekommen sei, wußte Perry Clifton schon eine ganze Menge über Fasnachts-Actien, Trommelkunst und Preistrommeln, über Schnitzelbank-Cliquen, Stecken-und Kopflaternen, Fackeln, Weckeruhren und den berühmten Morgenstreich, der zu nachtschlafender Zeit, nämlich früh um vier Uhr, beginnt und zu dem die Basler in Scharen und zuhauf hinströmten. Zum größten Trommelfest, das es weit und breit gab.
„Basel?“ fragte sein Nachbar und gähnte so ungeniert, daß Perry Clifton in aller Ruhe besichtigen konnte, womit der Dicke seine (zweifellos umfangreiche) Nahrung zerkleinerte. „Ja, wir sind da! Wir werden gleich landen!“
„Ich muß nach Bern! Und Sie?“
Das war kein Englisch mehr, das war jener schweizerischdeutsche Dialekt, bei dem sich das „Innere der zuhörenden Ohren mit Gänsehaut überzieht“! So jedenfalls hatte es ihm ein Einkäufer von Johnson & Johnson geschildert. Doch der Detektiv hatte verstanden.
„Nein, ich bleibe in Basel!“
„Warum?“
Clifton lachte: „Weil ich hier zu tun habe.“
„Forschungen... Sie sehen wie ein Forscher aus. Textilbranche, würde ich tippen.“
„Ihr Auge möchte ich haben. Um ein Haar getroffen!“ Perry verschwieg, daß bei den „Forschungen“ nur das kleine Wörtchen „Nach“ gefehlt hatte.
„Und dann?“
„Dann fliege ich nach London zurück!“
„Ah, Sie gehen nicht nach Bern?“
„Leider nein...“
„Das ist schade... Bern ist viel schöner als Basel!“ Als er Perrys skeptischen Blick sah, erklärte er den Grund: „Es liegt an der Luft. Ich sag Ihnen, mir bekommt die Basler Luft nicht. Ich hatte mal drei Wochen in Basel zu tun, da hab ich glatt zwei Pfund abgenommen. Mir hat es einfach nicht geschmeckt.“ Er sagte das so ernst, daß Clifton nicht daran zweifeln konnte, daß er es auch so meinte. Und deshalb erwiderte er ebenso ernst (in Deutsch): „Dann würde ich an Ihrer Stelle doch mal für ein Jahr nach Basel ziehen!“
Der Wohlbeleibte schüttelte den Kopf, daß das Unterkinn hin- und herschwappte. „Sie meinen, ich sei zu dick? Falsch!! Mein Idealgewicht sind 320 Pfund. Sobald ich weniger habe, fühle ich mich nicht wohl.“
Es tat einen harten Schlag, einen zweiten, dann hatten die Räder Bodenhaftung, die Bremsen traten in Funktion, und einen Augenblick lang spürten die Passagiere den Druck der Sicherheitsgurte.
Als Perry Clifton den Zoll passierte, mußte er unwillkürlich an Scott Skiffers Witz vom Vorabend denken: Speckgeruch und Mäuse. Vielleicht lag es an seinem innerlichen Grinsen, daß ihn der Zöllner nur fragte, ob er was zu verzollen habe, auf eine Durchsuchung seines Koffers jedoch verzichtete.
Noch zwanzig Meter trennten Clifton vom Haltestand der Taxen, als er jemand seitlich von sich in miserablem Englisch rufen hörte: „He, Nachbar!“ Der Dicke stand fröhlich lachend neben einem riesigen amerikanischen Straßenkreuzer mit Berner Nummer. Ein Chauffeur hielt ihm höflich die hintere linke Tür auf. Er winkte: „Schade, daß Sie nicht nach Bern müssen!“ Er winkte noch einmal und zwängte dann seine 320 idealen Pfunde in den Fond.
Die Fahrt von Mühlhausen bis in die Steinentorstraße vor das Hotel INTERNATIONAL dauerte auf die Minute genau 24 Minuten. Perry Clifton war gespannt darauf, ob das Lockenköpfchen von der SWISSAIR zuviel versprochen hatte.
Fast gleichzeitig mit seinem Wagen hielten zwei weitere Mietwagen vor dem Hotelportal. Sie waren beide mit Damen besetzt, so daß es Perry Clifton durchaus in der Ordnung fand, daß sich die dienstbaren Geister zuerst auf sie konzentrierten.
Er bezahlte seinen Chauffeur, der am heutigen Tag (oder an jedem Mittwoch?) ein Gelübde zu erfüllen schien. Außer einem einzigen Satz hatte er zwischen dem Flugplatz und dem Hotel kein Wort gesprochen. Und bei jenem Satz, für Clifton unverständlich, mußte es sich, seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, um einen bösen Fluch gehandelt haben.
Schon beim Eintritt in das Foyer des Hotels war Perry Clifton bereit zuzugeben, daß „Miß Swissair“ die Wahrheit gesagt hatte. Keine international gefärbte Hektik, weder in der Ausstattung noch im Ablauf. Raffinierte Lichtarrangements und Gruppen von gemütlichen Sitzmöbeln.
„Mein Name ist Clifton. Ich hatte heute mittag von London aus ein Einzelzimmer mit Bad bestellt.“
Der Angestellte, der sich Perrys angenommen hatte, ließ seinen Finger über ein aufgeschlagenes Buch gleiten. Plötzlich
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