Das geheimnisvolle Gesicht
mittelgroße Mädchen.
„Fame, mamma!“ rief das ganz kleine Mädchen.
„Ho, freddo!“ sagte das große Mädchen.
„Fame, mamma!“ rief das ganz kleine Mädchen.
„C’è un caldo terribile!“ stöhnte die Mutter.
„Fame, mamma!“ rief das ganz kleine Mädchen.
„Ho, freddo!“ sagte das große Mädchen trotzig.
„Vada a chiamare il medico, per favore!“ jammerte der Vater.
„Fame, mamma!“ rief das ganz kleine Mädchen und spuckte sich auf den linken Schuh!
Aus der Rezeption eilte eine Dame mit einem Glas Wasser herbei. „Non faccia complimenti per me. La prego!“ sagte die Mutter. Und sie stürzte das Glas in einem Zug hinunter.
„Fame, mamma!“ rief die ganz Kleine, beugte sich vor und spuckte jetzt auch der großen Schwester auf den Schuh...
Perry Clifton konnte leider nicht auf deren Reaktion warten, da der Taxifahrer inzwischen seinen Lohn empfangen hatte und nach draußen marschierte.
„Sagen Sie“, erkundigte sich der Detektiv, noch ganz unter dem Eindruck der Vorstellung stehend, „worüber haben die Leute denn gestritten. Sie kommen mir vor, als hätten Sie verstanden, was sie sagten.“
„Habe ich auch!“ nickte der Chauffeur. „Ich komme aus Como... Wieso Streit?“
„War das kein Streit?“
„Aber nicht doch... Die ganz Kleine hatte Hunger, die andere Durst, der dritten war warm, der Mutter heiß, und der Vater hat nur nach einem Arzt gerufen. Das war alles!“
„Aha, das war alles...“ Eines wußte Perry Clifton in diesem Augenblick genau: Italienisch würde er nie mehr lernen, als für den Besuch einer Pizzeria nötig war.
Er war so in seine Gedanken vertieft, daß er dem blauen VW mit Genfer Kennzeichen nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkte. Auch dem Taxifahrer fiel der stets in seinem Windschatten fahrende Pkw nicht auf.
Als er vor der angegebenen Hausnummer stoppte, war von dem Verfolger nichts mehr zu sehen.
Ein Zeichen, daß dieser sein Geschäft zu verstehen schien.
Ein Mann namens Gaitner
Wenig später stand Perry Clifton Johannes Gaitner gegenüber. Und er mußte feststellen, daß er sich ein völlig falsches Bild von dem ehemaligen Kommissar gemacht hatte. Es begann damit, daß Gaitner viel jünger aussah, als er in Wirklichkeit war. Daran änderte auch der schneeweiße Haarschopf nichts, um dessen Dichte und Fülle ihn wohl mancher beneidete, der dreißig oder vierzig Jahre weniger zählte. Sein Körper wirkte durchtrainiert, und seiner Gesichtsfarbe sah man es an, daß er sich oft im Freien aufhielt. Den stärksten Eindruck machten auf Clifton Gaitners Augen. Helle, graue, scharfblickende Augen, die ihn jetzt durchdringend musterten. Ohne Neugier, ohne Argwohn und Voreingenommenheit. Eher sachlich und abschätzend. Und als Gaitner dann lächelte, mit vielen kleinen und kleinsten Fältchen um die Augen, kam es Perry vor, als habe er soeben eine Art Prüfung bestanden.
„Bitte, Herr Perryclifton, treten Sie ein!“ sagte er und machte eine einladende Handbewegung.
„Herzlichen Dank“, erwiderte Perry und fügte hinzu: „Bevor aus einem offensichtlichen Hörfehler eine ständige Gewohnheit wird, darf ich etwas korrigieren. Mein Vater hieß Clifton und taufte mich auf den Vornamen Perry!“ Gaitner lachte so herzlich, daß es von den Wänden schallte. „Ja ja, meine Theres!“
Er führte Perry in ein großes, urgemütliches Wohnzimmer, in dem eigentlich alles groß war: die Blumen auf den Sesseln, die Sessel, der Kachelofen, das Fenster, der runde Tisch, die Pflanzen, Vasen und die Standuhr, in deren Uhrenkasten sicher nicht nur jenes eine kleine Geißlein, sondern auch die übrigen sechs samt Wolf Platz gefunden hätten.
„Bitte, machen Sie es sich bequem. Sie kommen also aus London, wie mir meine Theres versicherte!“
Perry Clifton nickte und holte Skiffers Brief aus dem Umschlag: „Bitte, Herr Gaitner, dies für Sie mit den besten Grüßen von Inspektor Skiff er.“
„Skiffer... Skiffer...“, sinnierte Gaitner und hielt sich den Umschlag vor die Augen. „Richtig! Inspektor Scott Skiffer von Scotland Yard! Er war vor ungefähr zwei Jahren hier in Basel, und zwar — Briefmarken... Eine Sache, bei der es um gefälschte Briefmarken ging!“
„Scott hat mir davon erzählt!“
„Ein Prachtbursche. Nur Wein hat er kaum vertragen...“
„Davon hat er mir kein Wort gesagt, dieser Halunke!“ dachte Clifton, während Gaitner den Umschlag öffnete und Scott Skiffers Zeilen las. Er tat es sicher zweimal, denn so
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