Das geheimnisvolle Gesicht
lange las kein Mensch an einer Seite Geschriebenem. Johannes Gaitner steckte den Brief in den Umschlag zurück und sah Perry Clifton nachdenklich an. Dann sagte er, und es klang so viel Zuversicht in seiner Stimme, daß Clifton sich fragte, was Skiffer wohl geschrieben hatte: „Ich bin Ihr Mann. Wir werden den Fall schon lösen!“
„Aber Sie kennen ihn doch noch gar nicht. Vielleicht verläßt Sie Ihr Optimismus, wenn Sie erst hören, um was es geht!“ gab Perry zu bedenken.
„Skiffer schreibt, daß Sie ein äußerst erfolgreicher Privatdetektiv sind, der bereits eine Anzahl spektakulärer Fälle im Alleingang aufgeklärt hat... Also, das sagt doch alles! Sie sind tüchtig, ich kenne mich hier aus, das zusammen ist schon die halbe Lösung!“
„Wenn ich Sie so höre“, lächelte Perry Clifton, „dann frage ich mich, wie man Sie bei so viel Temperament und Energie in Pension schicken konnte...“
„Es ist wie bei allen Beamten: Wenn sie klug, erfahren und weise genug für diese Welt sind, schickt man sie in Pension. Und die kommt so sicher wie der Sonntag nach dem Samstag!“
„Es sei denn, man läßt sie schon etwas eher sterben!“ Johannes Gaitner stimmte wieder sein fröhliches und zugleich dröhnendes Lachen an. Natürlich hatte ihm „seine Theres“ von dem Mißverständnis berichtet. Wer ihn so sitzen und lachen sah, würde kaum glauben, daß er einer der tüchtigsten und erfolgreichsten Kriminalisten gewesen war. Da ging die Tür auf.
Geschirr klapperte, und herein trat Theres. Clifton erhob sich und sah erstaunt — nach oben! Die „kleine, rundliche“ Theres, die er (er wußte selbst nicht, warum) erwartet hatte, entpuppte sich als ein „einmetervierundachtziggroßer Stock mit einem feixenden Gesicht obendrauf“. (Dieser Ausspruch stammte von Gaitner.) Aber sie war wirklich spindeldürr, und man mußte sich fragen, wo sie ihre Stimme herholte. Sie zwinkerte Clifton zu: „Behalten Sie nur Platz, Herr Perryclifton! Ich hoffe, Sie sind mit dem Tee zufrieden!“
„Vielleicht ist er nicht verwöhnt, Theres „Hören Sie, Herr Perryclifton, er will damit ausdrücken, daß mein Tee nichts taugt!“ Sie stellte das Tablett auf einen Servierwagen und rollte diesen an den Tisch.
„Theres, es reicht vollkommen aus, wenn du unseren Gast nur mit ,Herr Clifton’ anredest!“
Die Theres winkte energisch ab: „Ich hab was gegen Abkürzungen. Das wissen Sie doch, Herr Gaitner!“
„Schon, schon, aber unser Gast heißt nur Clifton. Perry ist sein Vorname...“
Die Theres legte sich die Hand auf den ergrauten Bubikopf und blubberte: „Du liebe Güte, das ist mir aber wirklich peinlich... So viele Irrtümer...“ Und dann fauchte sie den Kommissar an: „Sie haben die Tür vom Gewächshaus nicht richtig zugemacht. Eben kam die Katze raus!“
„Mit oder ohne Rosen?“ neckte Gaitner.
„Ach, mit Ihnen ist ja heute nichts anzufangen!“ Und zu Clifton sagte sie: „Ich lasse Sie jetzt allein. Bleiben Sie zum Mittagessen?“
„Wohl kaum, Frau Theres!“
„Theres ist genug! Es gibt Geschnetzeltes! Vielleicht überlegen Sie es sich noch mal. Gibt’s in England auch Geschnetzeltes?“
„Wir haben gute schweizerische Restaurants in London.“
„Waas?“ sagte die Theres, und Perry Clifton wußte nicht, ob sie es ernst meinte oder ulkte. „Haben Sie’s gehört, Kommissar, in London haben sie schweizerische Restaurants.“
„Warum nicht. Schließlich gibt’s bei uns auch chinesische Restaurants.“
„Pfui!!“ sagte die Theres und verschwand.
Perry Clifton sah ihr lächelnd nach.
„Sie ist seit dem Tod meiner Frau bei mir und macht den Haushalt. Und das sind schon 25 Jahre. Sie ist die beste Haushälterin, die man sich wünschen kann. Ich wüßte nicht, was ich ohne sie anfangen sollte. Sie hat selbst dort noch Humor, wo andere empfindlich sind: bei der eigenen Person.“
„Das ist viel wert!“ gab Perry zu, dem auf Anhieb einige Leute einfielen, von denen man das nicht behaupten konnte.
„Kommen wir zu Ihnen, Herr Clifton. Skiffer schreibt, ich möchte Ihnen doch mit Rat und möglichst auch mit Tat bei der Suche nach einer Frau zur Seite stehen.“
Perry nickte. „Im großen und ganzen ist dies, den Sachverhalt betreffend, richtig formuliert. Aber eben nur im großen und ganzen... Besieht man sich die Details, dann wird es schon schwieriger.“
Johannes Gaitner lehnte sich zurück und forderte seinen Gast auf: „Sie erzählen mir jetzt das, was Sie für notwendig halten.
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