Das geheimnisvolle Gesicht
gewohnt! Vielleicht unter einem anderen Namen?“
Breit, aber sicher kam es zurück: „Sie hat nicht hier gewohnt...“ Er nahm seine Brille herunter und begann die Gläser mit einem Lederläppchen zu putzen. „Sie hat nicht hier gewohnt, aber ich habe sie hier gesehen! Dessen bin ich sicher, mein Herr! Jawohl, eine der beiden Damen…“
Perry Clifton glaubte zu träumen. Was hatte der Mann eben gesagt? Er wiederholte seine Frage laut: „Was haben Sie eben gesagt?“
„Ich bin sicher, daß ich...“, er hauchte das rechte Glas an... „eine der beiden Damen hier im Hause gesehen habe!“
Perry schluckte: „Welche bitte?“
Der Finger des Mannes tippte vorsichtig auf die Vergrößerung des Zeitungsbildes. „Diese hier!“
„Diese? Warum gerade diese?“
„Ich erkenne sie an ihrem Schlapphut!“
„Sie glauben nicht, daß es sich auf allen Fotos um die gleiche Dame handelt?“
„Ich wage diese Frage nicht eindeutig zu beantworten, mein Herr. Das Risiko eines Irrtums erscheint mir zu groß! Ich stand zu weit weg. Aber ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen...“ Seine bis dahin ausdruckslose Stimme füllte sich mit Leben, wurde lauter, sicherer: „Mir fällt ein, daß sich Herr Sutter mit der Dame unterhalten hat... Ja, das hat er! Sie standen sich so nah gegenüber wie wir zwei jetzt!“
„Und wer ist Herr Sutter?“
„Einer unserer Portiers!“
„Ist er da?“
„Nein, leider nicht!“
„Er hat also Nachtdienst... Wann kommt er in der Regel?“
„In der Regel bei Nachdienst gegen halb zehn... Ich meine 21 Uhr 30... Nur heute kommt er nicht. Herr Sutter hat Urlaub!“
Cliftons enttäuschter Gesichtsausdruck entfachte in dem Empfangschef maßlosen Eifer. Über seine Lippen zog sich in ganzer Breite ein Lächeln des Trostes, und aus seiner Stimme klang Überzeugung, als er versicherte: „Herr Sutter kann Ihnen bestimmt helfen!“ Er senkte seine Stimme zu einem geheimnisvollen Flüstern: „Er ist unser Computer! Der Gute vergißt nie was... Der hat ein unglaubliches Gedächtnis...“
„Leider befindet sich der Mann mit dem unglaublichen Gedächtnis im Urlaub!“
Der Empfangsschef schüttelte den Kopf. „Er ist ja nicht verreist. Er macht nur ein paar Tage Ferien zu Hause. Seine Frau ist zur Tochter gefahren, und da muß er sich eben um die Viecher kümmern!“
„Sie meinen, ich könnte ihm einen Besuch abstatten?“
„Das können Sie unbesorgt, mein Herr!“
Obgleich Perry Clifton dieser Begegnung entgegenfieberte, hatte er Bedenken. „Vielleicht wäre es besser, wenn Sie ihn freundlicherweise telefonisch informieren würden...“ Der Empfangschef lächelte. „Adolf Sutter hat das Telefon aus seiner Wohnung entfernen lassen... Es erinnere ihn ständig an seinen Beruf!“
Wenig später hielt Clifton einen Zettel in der Hand. „Adolf Sutter, Rheingasse 77, 4. Etage!“ stand wie gedruckt von der Hand des Empfangschefs hingeschrieben. Und: „Grüßen Sie ihn von uns!“ sagte er.
Clifton versprach es und bedankte sich überschwenglich.
Er schob die Fotos in die Tasche zurück,
klemmte sie sich unter den Arm,
strebte der Ausgangstür zu
und — erlebte Zufall Nummer elf: Nur dem Zufall verdankte er es, daß in diesem Augenblick ein Hund über die Straße rannte, ein Auto mit kreischenden Bremsen stoppte und der Hund nach links wegsauste... Genau an dieser Stelle parkte ein blauer VW mit Zürcher Kennzeichen, dahinter aber, die Arme auf das Dach gestützt, stand sein Schatten aus London. Ganz offensichtlich sah er dem vierbeinigen Verkehrshindernis nach. Im Wagen selbst entdeckte Perry Clifton einen zweiten Mann.
Ein großer Bahnhof für ihn!
Noch einen Schritt weiter und er hätte den Vorteil des elften Zufalls verspielt.
Er hielt mitten in der Bewegung inne, die Hand, schon am Griff der Tür, sank herab. Jemand, der nach draußen wollte, stieß ihn mit einem Gepäckstück an, eine Stimme sagte: „Scusi, Signore!“ Perry trat zur Seite, ohne den blauen VW aus den Augen zu lassen.
Was tun... Sollte er gehen... So, als habe er sie nicht gesehen?
Zu Adolf Sutter? Nein... Das konnte er nicht riskieren! Er würde telefonieren... Wie hatte Johannes Gaitner gesagt? Seine Tricks seien die besseren! Jetzt hatte er Gelegenheit dazu, das Perry Clifton zu beweisen.
Der Empfangschef, inzwischen mit einem weiblichen Hotelgast beschäftigt, sah ihn überrascht an.
„Bitte, entschuldigen Sie vielmals... Gibt es eine Möglichkeit, bei Ihnen zu telefonieren?“
Der Gefragte
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