Das geheimnisvolle Gesicht
wirklich alle Namen gewußt?“ Perry Clifton wollte es nicht glauben.
„Alle — bis auf zwei! Und das lag nicht an mir. Zwei junge Damen hatten zwischendurch die Plätze getauscht!“
„Nicht zu fassen...“
„Aber wahr!“
„Wie lange zurück funktioniert Ihr Gedächtnis? Stunden, Tage, Wochen, Monate oder sogar Jahre?“
„Ein besonders gutes Speicherwerk habe ich für Zahlen. Egal, ob es sich dabei um Telefonnummern, Geburtstage, historische Daten oder Prozentsätze handelt. Stellen Sie mich doch einmal auf die Probe, Herr Clifton!“ Doch Perry Clifton winkte ab: „Gegen Ihr Gedächtnis ist das meine nur ein Luftzug. Ich kann mir kaum Zahlen merken. Selbst die Telefonnummern meiner Freunde muß ich mir aufschreiben!“
„Aber vielleicht haben Sie irgendwelche Geschichtsdaten in Erinnerung?“ drängte Sutter, dem es offensichtlich darauf ankam, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.
„Also ehrlich, Herr Sutter, seit meiner Schulzeit sind mir nur drei Daten haftengeblieben. Das sind der Tauftag Shakespeares, der Todestag der Queen Viktoria und der Tag, an dem England Deutschland den Krieg erklärt hat.“ Sutter hob die Hand und sagte: „Korrigieren Sie mich, falls mein Gedächtnis versagt: Shakespeare wurde am 26. April 1564 getauft, die Königin Viktoria starb am 5. August 1901 und England erklärte am 3. September 1939 Deutschland den Krieg!“
„Ich finde Sie großartig, Herr Sutter! Alle Zahlen stimmen... Und jetzt zweifle ich auch nicht mehr daran, daß Sie mir helfen können!“
Perry zog den Reißverschluß seiner Tasche auf.
„Vor vier Wochen war in Basel Fasnacht. Während der Umzüge wurden von einer englischen Zeitung mehrere Fotos für eine Reportage gemacht. Auf einem dieser Fotos entdeckten meine Auftraggeber eine Dame, mit der sie unbedingt Kontakt aufnehmen möchten.“
„Eine Engländerin?“
„Ja!“ antwortete Clifton. „Ich wurde nun beauftragt, nach ihr zu suchen!“
„Hat sie was ausgefressen?“
„Es handelt sich um eine Versicherungssache, Herr Sutter!“ Clifton legte beide Bilder auf den Tisch: das Porträtfoto und eines der beiden, die Claire Burton vor dem Sportwagen zeigten.
Adolf Sutter nahm sie gar nicht erst in die Hand. Er warf nur einen flüchtigen Blick darauf. „Ja, die Dame kenne ich... Allerdings trug sie damals einen Schlapphut!“
Clifton legte die Ausschnittvergrößerung neben die beiden anderen Fotos: „Hier haben Sie den Schlapphut!“
„Ja, ja, das ist sie...“
Die Spannung in Perry Clifton wuchs. Sie beeinträchtigte sogar seine Stimme, die plötzlich rauh klang, als er fragte: „Herr Sutter, Ihr Empfangschef war sich nicht sicher, ob es sich bei den Frauen auf den Fotos um ein und dieselbe Person handelt. Was sagen Sie dazu?“
„Sollte es sich je herausstellen, daß die und die“, er tippte zuerst auf das Porträt, dann auf die Vergrößerung, „nicht dieselben Personen sind, dann sind es Zwillinge! Eine andere Möglichkeit gibt es nicht!“ Er sprach dies mit solcher Sicherheit und mit solchem Nachdruck aus, daß Perry Clifton nicht daran zweifeln konnte, daß es für den Portier wirklich keine andere Möglichkeit gab.
Der „Schimmer der Spur“ hatte den „Schimmer“ verloren. Geblieben war eine wirkliche Spur.
„Die Frau hat, laut Auskunft Ihres Empfangschefs, nicht in Ihrem Haus gewohnt!“
„Stimmt!“ nickte Sutter. „Wir waren an diesem Tag bis unters Dach belegt. Aber ich konnte ihr helfen!“ Perry stockte der Atem.
„Sie konnten ihr helfen? Wie soll ich das verstehen?“
„Ich habe für sie mehrere Telefongespräche geführt. Mit anderen Hotels, meine ich. Zu Fasnacht ist es mit Zimmern immer ein bißchen schwierig. Aber im Bristol hat es dann geklappt. Ein Gast hatte kurzfristig abgesagt...“
„Das heißt also, daß sie von Ihnen aus direkt ins Hotel Bristol gezogen oder besser: gefahren ist!“
„Ja. Dabei hätten wir sie gern bei uns untergebracht. Schon deshalb, weil sie mehrere Wochen bleiben wollte.“
„Mehrere Wochen?“ Mehrere Woche bedeutete, daß sie noch immer in Basel sein konnte. Perry Clifton mußte sich zur Ruhe zwingen. An eine solche Möglichkeit hätte er nicht einmal in seinen kühnsten Träumen geglaubt. Das „geheimnisvolle Gesicht“ schien plötzlich greifbar nahe...
„Da fällt mir was ein“, Sutters Stimme drang wie aus einer anderen Welt an sein Ohr, „sagten Sie nicht, es handle sich um eine Engländerin?“
„Ja, ja, das sagte ich!“ Aufpassen!! rief
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