Das geheimnisvolle Gesicht
zunächst einmal nur beobachten! Natürlich könnte er auch sagen...
„Bitte, Ihre Salatplatte, mein Herr!“
„Danke!“
...Natürlich könnte er auch sagen: „Hallo, Missis Burton, lange nicht gesehen!“ Aber Missis Burton war ja tot... Das heißt, man nahm an, daß sie tot war.
Burton zum Beispiel...
Hamilton zum Beispiel...
John Aston zum Beispiel...
Die Polizei von Folkestone zum Beispiel! Sie alle nahmen es an!
Und er? Nahm er es auch an?
Zum ersten Mal, seit ihn dieser Fall beschäftigte, tat Perry Clifton etwas, von dem er später sagte, daß er nicht wisse, was ihn dazu veranlaßt habe: Er öffnete die Tasche, zog Claire Burtons Porträtaufnahme heraus und betrachtete sie lange und nachdenklich...
Als er sie endlich zurücksteckte, war er sich klar darüber, was er zu ihr sagen würde...
Gespannt fischte er ein blasses Salatblatt unter einer leicht erröteten Tomate hervor und kostete. Es schmeckte sehr vegetarisch. Und während er noch darüber nachdachte, aus welchen Ländern die einzelnen Gemüsearten wohl eingeflogen worden waren, musterte ihn „Mäusezähnchen“ mißbilligend.
„Wenn Ihnen der Salat nicht schmeckt, probieren Sie doch mal unseren Gemüsecocktail!“
„Oh, ich habe nichts gegen die Salatplatte... Ich staune nur eben, wieviel Salat auf einer einzelnen Platte Platz hat.“
Als er zahlte, gab er ihr drei Franken Trinkgeld.
Um 14 Uhr betrat Perry Clifton die Halle des Hotels Bristol. Nach einem kurzen informierenden Rundblick — er rechnete sich inzwischen zu den Hotel-Empfangshallen-Spezialisten — steuerte er auf die Rezeption zu.
Eine Angestellte in vornehmen Schwarz fragte nach seinem Begehr.
Perry Clifton verbeugte sich kurz. „Bitte, können Sie mir sagen, ob Madame Bloyer augenblicklich im Haus ist?“
Ein Augenpaar musterte ihn sichtlich befremdet. Und ein blaßrot geschminkter Mund sagte: „Madame Bloyer? Madame Bloyer wohnt nicht mehr bei uns.“ Da sie gleichzeitig in ihrem Buch zu blättern begann, entging ihr Cliftons tiefe Enttäuschung.
„Herr Sutter sagte mir, daß sie mehrere Wochen zu bleiben beabsichtigte.“ Sie sah auf, erinnerte sich: „Ja, Herr Sutter... Stimmt! Sie hat drei Wochen bei uns gewohnt. Am 17. März ist sie abgereist!“ Und da ihr in diesem Augenblick einfiel, daß heute auch Freitag war, stellte sie fest: „Heute vor acht Tagen also!“ Sie zuckte bedauernd mit ihren schmalen Schultern und sagte ebenso bedauernd: „Tut mir leid...“
Perry Clifton hatte sich inzwischen wieder gefaßt und beschloß, in seine frühere Rolle zurückzuschlüpfen. Er legte seine Stirn in bekümmerte Falten und flüsterte traurig: „Unangenehm, unangenehm... Sie wird untröstlich sein, daß ich sie verpaßt habe
(Jetzt hielt er wirklich den Atem an.)
„Ist sie nach Paris zurückgereist?“
Keine Spur von Neugier war in ihrer Stimme, als sie erwiderte: „Ich habe keine Ahnung, mein Herr. Sie hat leider keine Nachsendeadresse hinterlassen!“
„Höchst bedauerlich“, murmelte Clifton.
„Ich hätte Ihnen gern geholfen!“ sagte sie.
„Und ich müßte sie so dringend in einer Erbschaftsangelegenheit sprechen!“ sprachen seine Lippen, während sein Verstand zu ihm sagte: Das ist das Ende! Die Suche nach dem „geheimnisvollen Gesicht“ war vorbei!
Madame Bloyer mit dem Gesicht der Claire Burton hatte Basel mit unbekanntem Ziel verlassen!
Wo sollte er sie jetzt suchen?
In Paris?
In Zürich?
In Sizilien?
In Rom?
Vielleicht in der Sahara?
Oder am Strand von Hawaii?
Es war sinnlos! Er würde Burton nachher anrufen und ihm die weitere Suche ausreden. Und wenn er Glück hatte, gab es heute noch eine Flugverbindung zurück nach London...
Sollten sich seinetwegen seine Verfolger weiter mit dem „geheimnisvollen Gesicht“ herumschlagen...
Da fiel ihm noch etwas ein: Flugverbindung... Ja, das konnte er noch tun: die Fluggesellschaften anrufen und fragen, ob am 17. oder 18. März ein weiblicher Passagier namens Bloyer einen Flug gebucht hatte... Wohin? Keine Ahnung. Irgendwohin...
Die Dame in Schwarz beobachtete ihn halb hilf-, halb ratlos. Doch was sie nun mit einem feinen Lächeln sagte, ließ noch einmal Hoffnung in Perry Clifton aufkeimen: „Sie stehen so unglücklich da, als ginge es um ihre eigene Erbschaft... Vielleicht sprechen Sie mal mit Colette, dem Zimmermädchen. Es könnte durchaus sein, daß sie mehr weiß. Madame war ihr sehr zugetan, und Colette hat oft Besorgungen für sie erledigt! Allerdings“, schränkte sie
Weitere Kostenlose Bücher