Das geheimnisvolle Gesicht
Zipfel?“
„Ja, einen Zipfel von der Spur. Na ja...“, seufzte sie und zwinkerte belustigt, „verkaufen scheint doch einfacher zu sein, als Detektiv zu spielen. Sind Sie auch Detektiv?“ Wieder zögerte der Mann, und wieder schien er sich zu einer Antwort erst überwinden zu müssen. „Ja, ich bin auch Detektiv...“Julie sagte: Jetzt hofft er auf morgen!“
„Wieso auf morgen? Davon hat er mir nichts gesagt „Morgen kommt doch das Mädchen wieder... Den Namen habe ich vergessen, aber Perry meint, sie könnte der große Renner sein...“
„Stimmt, es fällt mir ein!“ sagte der Mann. Doch ebenso gut hätte er Hering, Napfkuchen, Strickstrumpf oder Mäuseschwanz sagen können. Julie Young dachte so wenig an einen Hinterhalt, daß sie auch dabei kein Mißtrauen geschöpft hätte. Und als das Mißtrauen endlich in Form eines zarten Pflänzchens zu keimen begann, war es zu spät. Noch leuchteten ihre Augen voller Vertrauen. Und spitzbübisch stupste sie mitten in den Wettermantel. „Jetzt weiß ich, wer Sie sind!“
Der Mann starrte sie sekundenlang erschrocken an. „So?“ brachte er endlich hervor.
„Ja. Sie sind der Mitarbeiter von Perrys Busenfreund Scott Skiffer! Stimmt’s, Mister Genter?“ Und ganz theatralisch: „Sie... sind... der... der... so... viel... priemt!“
Er schüttelte den Kopf. Irritiert und von Julies Naivität in die Enge gedrückt.
„Ich kenne diesen Mister Skiffer gar nicht...“
„Sie kennen Scott Skiffer nicht? Aber Sie müssen ihn kennen, er ist Perrys bester Freund!“ Sie hatte einen Einfall: „Vielleicht kennen Sie ihn unter einem Spitznamen. Ich meine Scott Skiffer, den Inspektor von Scotland Yard!“
Der Mann vor ihr richtete sich plötzlich auf. Die ohnehin heisere Stimme war noch eine Spur heiserer, als er wiederholte: „Scotland Yard?... Ja... Wenn Sie den meinen, den kenne ich... Aber jetzt muß ich gehen...“
Julie Young sah ihm nach.
Eigenartig... Er hatte nicht mal auf Wiedersehen gesagt. Er hatte ihre ausgestreckte Hand ganz übersehen.
Perry hatte schon komische Freunde...
Freunde? Ob das vielleicht gar kein Freund war?
Aber woher hätte er sonst wissen können, daß Perry in Basel war?
Julie registrierte plötzlich ein eigenartiges Herzklopfen. Sie bekam es immer nach besonders großen Dummheiten. Aber sie war auch ein Mädchen, das schnelle Entschlüsse fassen konnte. Als sie den Hörer vom Telefonapparat in Mister Hollburns Büro nahm, war es genau 10 Uhr 40...
Schaffhausen, 25. März, 10 Uhr 50
„Na, Herr Clifton, ist der Rheinfall nun ein Reinfall, oder sind Sie zufrieden?“ wollte Theres wissen. Es war ziemlich windig, und sie hatte alle Hände voll zu tun, um ihr dürftiges Hütchen vor dem Davonfliegen zu bewahren.
„Es ist kein Reinfall!“ bestätigte Perry Clifton. Und Johannes Gaitner witzelte: „Es sind nicht gerade die Niagarafälle, aber wir Schweizer waren ja schon immer bescheiden!“
„Die Höflichkeit gebietet es mir, nicht zu widersprechen!“
„Wollen wir wetten, daß Sie nicht wissen, wie viele Meter das Wasser hier hinunterstürzt?“
„Stürzt?“ wiederholte Clifton grinsend. „Sagen wir lieber hinunterplätschert.“
„Meinetwegen!“ (Zänkisch war Theres noch nie gewesen.) „Gut, wetten wir!“ willigte Perry ein. „Um wieviel wollen wir wetten?“
„Ich habe meine festen Tarife. Ich wette um einen Franken!“
„Einverstanden, um einen Franken! Ich schätze... na ja, es wird sich so 21 Meter in die Tiefe dahinplätschern!“
Gaitners Haushälterin sah Clifton zuerst enttäuscht, dann mißtrauisch an. Trotzdem griff sie wortlos in ihre Manteltasche und holte den verlorenen „Tarif“ heraus.
„Danke!“ sagte Clifton, verbeugte sich und verstaute den Gewinn dort, wo schon eine Ansichtskarte vom Rheinfall steckte, auf der alle Daten ordnungsgemäß aufgeführt waren.
„Ich werde nie wieder am Rheinfall wetten!“ versicherte die Theres: „So ein Reinfall!“
Von Schaffhausen aus fuhren sie rheinaufwärts über Münster bis zum Bieler See, wo sie zu Mittag aßen und wo sich Clifton von Johannes Gaitner zu einem Fischessen überreden ließ. Bei dieser Gelegenheit erkundigte er sich auch nach jenem von Scott Skiffer so oft erwähnten Weinlokal, wo man sich angeblich gegenseitig die Schuppen auf dem Kopf zählen konnte. Und Gaitner erzählte ihm voller Bedauern (und Grimm), daß das Haus, in dem das Lokal untergebracht war, einem unschönen Neubau hatte weichen müssen...
London,
Weitere Kostenlose Bücher