Das geheimnisvolle Tuch
es blieb wohl keine Wahl. Hielten sie alles sowieso noch für Schein, wurden aber spätestens nach kurzer Zeit von der Wirklichkeit überzeugt.
Sie kamen in einen Bereich, in dem die Wurzeln der Bäume eine Größe erreichten, die sie wie Kleinstlebewesen vorkommen ließen. Unter manchen Wurzeln gingen sie hindurch, als seien sie überhängende Brücken. Das Labyrinth der Riesen wurde immer dichter. Da ein Baum fast dem anderen ähnelte, wurde die Gegend allmählich zu einem Irrgarten.
Wurz schwebte ständig vor ihnen her.
Sie mussten zugeben, ohne ihn wohl nie aus diesen Irrungen herauszufinden.
„Wo ist denn dein Mäuschen“, neckte Thomas.
„Da, vor dir steht sie doch, genau vor ihrem Loch.“ Thomas fiel auf seinen Allerwertesten vor Schreck.
„Au Backe“, sagte er nur.
Vor ihm stand, wie ein ausgewachsenes Pony, der Nager. Seine Zähne lugten vorne aus dem Maul und die Beine waren mit scharfen Krallen ausgerüstet. Die Gruppe blieb in einiger Entfernung stehen und sah Thomas zu, wie er sich wieder aufraffte. Er stand starr da und überlegte, wie er den Angriff dieses Tieres abwehren könnte. „So helft mir doch!“, schrie er.
Das Tier sah um sich und verschwand.
„Habt ihr das gesehen? Dieses Riesenvieh hat Angst vor mir. Ich bin ja auch der Tapferste hier“, sagte Thomas wieder beruhigt.
Die übrigen Begleiter lachten.
„Klar bist du“, sagte Vinc lustig. „Vor einer kleinen Maus bist du auf den Hintern gefallen. Sieht so ein Held aus?“
„Kleine Maus? Mann, die war so groß wie ein Ochse.“ Thomas fühlte sich ein wenig in seiner Angeberehre angegriffen.
„Fragt sich nur, wer der Ochse ist“, frotzelte Zubla.
„Dann fragt doch unseren Dichter, den Wurz.“ Thomas zeigte in die Gegend, aber keine so bezeichnete Person war da. „Hey? Wo ist der denn hin?“
„Wird wohl ein Schein gewesen sein. Da sind wir wohl alle darauf hereingefallen“, sagte Rexina.
Nichts war mehr zu sehen, außer einer saftigen Wiese.
So schritten sie ohne weitere Zwischenfälle durch das Tal, um übergangslos in das nächste zu kommen. Da Illusion auch gleich Schein sein konnte, würden sie nicht so schnell feststellen, wann sie das eine betraten und das andere verließen. Aber das nächste Tal war gefährlicher als das vorherige.
Sie meinten, immer noch durch üppige Landschaften zu gehen, dabei befanden sie sich in der unwirtlichen und alles vernichtenden Wüste. Durch den Durst, verursacht durch die quälende Hitze, wurden ihre Schritte die von Trunkenen. Sie meinten, den Bach zu sehen und eilten dorthin. Sie beugten ihre Köpfe darüber, wollten das Nass schlürfen und sogen Sand in den Mund.
„Wir haben das Tal der Illusion erreicht“, stellte Rexina fest. „Wir meinen Dinge zu sehen, die es nicht gibt. Alles, was wir wahrnehmen, existiert, aber nicht hier, sondern es wird von einem Ort hierher gespiegelt.“
„Wir nennen es auf Erden eine Fata Morgana“, erklärte Vinc.
„Wir müssen so schnell wie möglich hier hindurch, sonst sind wir verloren. Jede Minute, die wir hier verbringen, ist eine Minute zu unserem Ende.“ Die Worte von Rexina klangen voller Sorge und Angst.
Sie eilten weiter und beschleunigten ihre Schritte, obwohl sie ihnen immer schwerer fielen. Der Durst wurde größer und verklebte ihren Mund. Unbarmherzig versengte die Sonne die Landschaft, obwohl eine Illusion von saftigen Wiesen und tragenden Obstbäumen vorhanden schien.
„Hey! Da ist die gläserne Stadt!“, rief Vinc begeistert. „Sie ist gar nicht mehr weit weg. Wie sie glitzert und spiegelt!“ Er lief auf sie zu.
„Ja, sie spiegelt! Das ist wahr! Mehr nicht! Spar deine Kräfte!“ Kurz und hastig rief Rexina diese Sätze hinterher. „Lass dich nicht blenden. Die Stadt wird von einem anderen Ort hierher gebracht. Durch die Luft. Sie existiert an einer anderen Stelle.“ Sie rief so laut sie konnte, doch Thomas und Zubla, die dem weit vorauseilenden Vinc hinterherliefen, hörten nicht auf sie.
Die Luftspiegelung zeigte ihnen riesige Vögel, Feuer speiend um die Stadt fliegend.
„Das müssen ja riesige Vögel sein“, stellte Vinc fest, der inzwischen stehen geblieben war und zwei Gestalten sah, aus deren Fingerspitzen Blitze zuckten.
„Ein Glück, dass wir das sehen, denn somit wissen wir schon, was uns erwartet. Um die gläserne Stadt muss ein Krieg ausgebrochen sein“, sagte Rexina, die inzwischen die drei eingeholt hatte. „Seht ihr, da ist eine Oase, da können wir wahrscheinlich etwas
Weitere Kostenlose Bücher