Das Geisterhaus
die
Menge mühelos erkennen und an der nächsten Laterne
aufknüpfen würde, wenn er sich auf die Straße wagte. Trueba
war mehr überrascht als wütend. Er konnte nicht glauben, was
geschehen war, obwohl er selbst jahrelang wiederholt hatte, das
Land stecke voller Marxisten. Er fühlte sich nicht entmutigt, im
Gegenteil. In seinem alten Kämpferherzen regte sich ein
Überschwang, wie er ihn seit seiner Jugend nicht mehr gekannt
hatte.
»Die Wahl gewinnen ist eines, Präsident sein etwas anderes«,
sagte er geheimnisvoll zu seinen Parteifreunden.
Der Gedanke, den neuen Präsidenten aus dem Weg zu
räumen, war noch niemandem gekommen, denn seine Feinde
waren überzeugt, daß sie auf dem gleichen legalen Wege, der
ihn zum Sieg geführt hatte, mit ihm fertig werden würden. Das
jedenfalls dachte Trueba. Am folgenden Tag, als klar war, daß
von der festtäglichen Menschenmenge nichts zu befürchten war,
verließ er sein sicheres Refugium und begab sich in ein
Landhaus in der Nähe der Stadt, wo ein geheimgehaltenes
Mittagessen stattfand. Dort waren Politiker, einige Militärs und
die vom Geheimdienst entsandten
Gringos
zusammengekommen, um den Plan zum Sturz der neuen
Regierung zu entwerfen: durch Sabotage oder, wie sie es
nannten, wirtschaftliche Destabilisierung.
Es war ein großes Haus im Kolonialstil, das in einem
gepflasterten Hof stand. Als Senator Trueba ankam, waren
schon mehrere Autos geparkt. Er wurde mit Hallo empfangen;
weil er, in Vorbeugung dessen, was nun auf sie zukam, schon
Monate im voraus die nötigen Kontakte geknüpft hatte. Nach
dem Essen - es gab kalten Fisch in Avocadosauce, mit Brandy
flambiertes Ferkel und Mousse au chocolat - entließen sie die
Kellner und schlossen die Salontür ab. Hier entwarfen sie in
groben Umrissen ihre Strategie. Danach brachten sie stehend
einen Toast auf das Vaterland aus. Sie alle, die Ausländer
ausgenommen, waren bereit, die Hälfte ihres persönlichen
Vermögens für dieses Unternehmen aufs Spiel zu setzen, aber
nur der alte Trueba war bereit, auch sein Leben dafür zu lassen.
»Wir werden ihn keine Minute in Ruhe lassen, bis er
abdanken muß«, sagte er mit Bestimmtheit. »Und wenn alles
nichts hilft, haben wir das da«, fügte General Hurtado hinzu,
indem er seine Dienstwaffe auf den Tisch legte.
»An einem Putsch sind wir nicht interessiert, General«,
erwiderte der Geheimagent der Botschaft in seinem korrekten
Spanisch. »Wir wünschen, daß der Marxismus mit Pauken und
Trompeten durchfällt und von selbst stürzt, damit sich andere
Länder des Kontinents diesen Gedanken aus dem Kopf
schlagen. Verstehen Sie? Wir werden diese Sache mit Geld in
Ordnung bringen. Noch können wir einige Parlamentarier
kaufen, damit sie ihn nicht als Präsidenten bestätigen. So steht
es in Ihrer Verfassung: er hat die absolute Mehrheit nicht
erreicht, also muß das Parlament entscheiden.«
»Schlagen Sie sich das aus dem Kopf, Mister«, rief Senator
Trueba. »Hier können Sie niemanden bestechen! Der Kongreß
und die Streitkräfte sind unbestechlich. Besser nehmen wir
dieses Geld dazu her, die Kommunikationsmittel zu kaufen.
Damit können wir die öffentliche Meinung beeinflussen, und
das ist das einzige, was wirklich zählt.«
»Das ist Unsinn! Das erste, was die Marxisten tun, wird sein,
daß sie die Pressefreiheit abschaffen!« ertönten mehrere
Stimmen wie aus einem Mund.
»Glauben Sie mir, Caballeros«, erwiderte Senator Trueba.
»Ich kenne dieses Land. Niemals werden sie die Pressefreiheit
antasten. Übrigens steht das in ihrem Regierungsprogramm, er
hat geschworen, daß er die demokratischen Freiheiten
respektieren wird. Wir werden ihn in seiner eigenen Falle
fangen.«
Senator Trueba hatte recht. Die Parlamentarier ließen sich
nicht bestechen, und in dem gesetzlich vorgeschriebenen
Zeitraum übernahm die Linke in aller Ruhe die Macht. Und da
begann die Rechte, Haß zu sammeln.
Nach den Wahlen änderte sich das Leben für jedermann, und
wer gedacht hatte, er könne so weitermachen wie immer, merkte
bald, daß er sich getäuscht hatte. Für Pedro Tercero García war
der Wechsel brutal. In seinem bisherigen Leben hatte er die
Falle der Routine vermieden, war frei und arm gewesen wie ein
Troubadour. Ohne jemals Lederschuhe zu tragen, ohne sich eine
Krawatte oder eine Armbanduhr umzubinden, hatte er sich den
Luxus der Zärtlichkeit, der Arglosigkeit, der Verschwendung
und der Siesta leisten können, weil er niemandem
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