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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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sie nach ihm rufen. Im Gebäude blieben etwa
dreißig Personen, in den Salons des zweiten Stocks
verbarrikadiert, zurück, unter ihnen Jaime. Er glaubte in einen
Alptraum geraten zu sein. Er setzte sich auf einen roten
Samtsessel, eine Pistole in der Hand, die er blöde anstarrte. Er
wußte nicht, wie man mit ihr umging. Es schien ihm, daß die
Zeit sehr langsam ablief, auf seiner Uhr waren seit dem Beginn
dieses bösen Traums erst drei Stunden vergangen. Er hörte die
Stimme des Präsidenten, der über den Rundfunk zum Volk
sprach. Es war sein Abschied.
    »Ich wende mich an diejenigen unter euch, die man verfolgen
wird, um euch zu sagen, daß ich nicht zurücktrete. Ich werde die
Treue meines Volkes mit meinem Leben bezahlen. Immer werde
ich bei euch sein. Ich glaube an Chile und seine Zukunft. Andere
werden diesen Moment überleben und werden, eher früher als
später, die großen Straßen eröffnen, die das freie Volk
beschreiten wird, um eine bessere Gesellschaft aufzubauen. Es
lebe das Volk! Es leben die Arbeiter! Das sind meine letzten
Worte. Ich bin sicher, daß mein Opfer nicht vergeblich sein
wird.«
    Der Himmel begann sich zu bewölken. In der Ferne waren
vereinzelte Schüsse zu hören. Der Präsident sprach in diesem
Augenblick per Telefon mit dem Chef der Aufständischen, der
ihm ein Militärflugzeug anbot, in welchem er mit seiner ganzen
Familie das Land verlassen könne. Aber der Präsident war nicht
bereit, an irgendeinem entlegenen Ort ins Exil zu gehen und dort
zusammen mit anderen gestürzten Regierungschefs, die bei
Nacht und Nebel ihr Land verlassen hatten, den Rest seines
    Lebens dahinzuvegetieren.
»Ihr habt euch in mir geirrt, Verräter. Das Volk hat mich auf
diesen Platz gestellt, nur tot werde ich ihn verlassen.«
    Da hörten sie das Dröhnen der Flugzeuge, das Bombardement
begann. Jaime warf sich zu Boden wie alle anderen. Er konnte
nicht glauben, was er erlebte, denn bis zum Tag davor hatte er
geglaubt, daß in seinem Land so etwas nie passieren würde und
daß selbst die Militärs das Gesetz respektieren würden. Nur der
Präsident blieb stehen, trat mit einer Panzerfaust auf den Armen
ans Fenster und schleuderte sie gegen die Panzer, die auf der
Straße standen. Jaime kroch zu ihm hin und packte ihn an den
Waden, um ihn zu zwingen, daß er sich bückte, aber mit einem
Schimpfwort machte der Präsident sich frei und blieb stehen.
Fünfzehn Minuten später brannte das ganze Gebäude, und man
konnte vor Bomben und Rauch nicht mehr atmen. Jaime lief auf
allen vieren zwischen den zerbombten Möbeln und den
Trümmern, die überall wie ein tödlicher Regen von der Decke
fielen, bemüht, den Verwundeten beizustehen, konnte aber nur
Trost spenden und den Toten die Augen schließen. Als die
Schießerei plötzlich für eine Weile aussetzte, versammelte der
Präsident die Überlebenden und sagte ihnen, sie sollten gehen,
er wolle keine Märtyrer und keine nutzlosen Opfer, alle hätten
sie eine Familie, und überdies hätten sie später eine wichtige
Aufgabe zu übernehmen. »Ich werde um einen Waffenstillstand
bitten, damit Sie weggehen können«, fügte er hinzu. Aber
niemand ging. Einige zitterten, aber alle schienen ihre Würde
bewahrt zu haben. Das Bombardement war kurz, hinterließ den
Palast jedoch als Ruine. Um zwei Uhr mittags hatte das Feuer
die alten Salons vernichtet, die seit Kolonialzeiten gedient
hatten, und nur eine Handvoll Männer blieben um den
Präsidenten zurück. Die Militärs drangen in das Gebäude ein
und besetzten alles, was vom Erdgeschoß noch übrig war. Über
das Getöse hinweg hörten sie die hysterische Stimme eines
Offiziers, der ihnen befahl, sich zu ergeben und im Gänsemarsch
mit hochgehobenen Armen herunterzukommen. Der Präsident
drückte einem nach dem ändern die Hand. »Ich gehe als letzter«,
sagte er. Sie sahen ihn lebend nicht wieder.
    Jaime ging mit den übrigen hinunter. Auf jeder Stufe der
breiten Steintreppe waren Soldaten postiert. Sie schienen
verrückt geworden zu sein. In einem neuerfundenen Haß, der
innerhalb weniger Stunden in ihnen aufgeblüht war, traten sie
die Hinuntergehenden mit Füßen und schlugen mit den
Gewehrkolben auf sie ein. Einige schossen ihre Gewehre über
den Köpfen der sich Ergebenden ab. Jaime bekam einen Schlag
in den Unterleib, der ihn zusammenknicken ließ. Als er sich
wieder aufrichten konnte, standen ihm Tränen in den Augen,
und seine Hose war warm von Scheiße. Sie

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